Von Schmetterlingen, Schlupfwespen, Viren und Milben

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
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HärLe
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Von Schmetterlingen, Schlupfwespen, Viren und Milben

Beitragvon HärLe » 25. Mär 2017, 13:50

Hallo zusammen,
bereits im Jahr 2009 hat sich hookhook22 im Dokuportal mit der Kohlweißlings-Schlupfwespe befasst. Ich möchte dieses Thema aufgreifen und um ein paar interessante Aspekte erweitern.

Ganz zu Anfang meiner Zeit als MakroForensiker hab ich Euch das Bild einer Raupe gezeigt, die sich mit ihren Geschwistern über meinen Rosenkohl hergemacht hat. Schon damals sind mir umherfliegende Insekten aufgefallen, die gelegentlich auf den Blättern neben den Raupen saßen. Heute vermute ich, dass es sich dabei um Vertreter der Kohlweißlings-Schlupfwespe (oder Kohlweißlings-Brackwespe) Cotesia glomerata gehandelt hat.
Raupe des Großen Kohlweislings
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Schlupfwespen im weitesten Sinne zeichnen sich dadurch aus, dass sie artfremde Individuen als Futterspender für ihren Nachwuchs nutzen (meist andere Insekten aber auch Spinnen). Sämtliche Schlupfwespen gehören zu den Hautflüglern (Hymenoptera) und sind mit mehreren 10000 Arten auf unserem Planeten vertreten.

Cotesia glomerata gehört zu den Brackwespen (Familie Braconidae). Die Kohlweißlings-Schlupfwespe ist nur höchstens 3mm lang und von schwarzer Farbe. Die Weibchen dieser Schlupfwespe legen ihre Eier bevorzugt in die Raupen des Großen Kohlweißlings ab, können aber auch Larven anderer Falter infizieren. Finden tun die kleinen Biester ihre Opfer mit Hilfe des Geruchssinns. Offenbar verströmt Kohl, der von Raupen angefressen wird, einen typischen Duft, den sie wahrnehmen. Ein Weibchen legt mehrere Eier in einer Raupe ab und kann auch mehrere Raupen nacheinander heimsuchen. Die Raupen ernähren sich nicht von den Organen der Raupe – die soll ihnen so lange wie möglich als Heimstatt dienen und vorerst nicht sterben. Deshalb halten sie sie sich an der Hämolymphe der Raupe schadlos (Insekten besitzen keinen geschlossenen Blutkreislauf. Vielmehr sind die Organe in eine Flüssigkeit eingebettet, die die Funktion übernimmt, die Blut und Lymphe bei uns Menschen haben – eben die Hämolymphe.).
Innerhalb der nächsten Tage wachsen die Maden der Schlupfwespe in der Raupe heran. Wie auf ein geheimes Kommando hin bohren sie sich am Ende alle gemeinsam durch die Körperwand nach draußen und verpuppen sich – die Raupe stirbt erst Tage später.
Die Schlupfwespen-Larven haben sich neben der Raupe verpuppt
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Die Puppenruhe dauert 1 bis 2 Wochen. Danach macht sich eine neue Generation Schlupfwespen auf die Suche nach Opfern. Überwintern tun die Kohlweißling-Schlupfwespen entweder als Puppen oder in den Raupen.

Soweit so gruselig. Aber das Beste kommt noch. Es ist nämlich so, dass das Immunsystem der Raupen den Eiern der Schlupfwespe in ihrem Inneren eigentlich ruckzuck den Garaus machen müsste. Tut es aber nicht. Die Schlupfwespen schaffen das, indem sie in ihren Eierstöcken gewissermaßen hauseigene Viren produzieren und den Eiern von außen anheften. Kaum in der Raupe angekommen, machen sich die Viren ans Werk. Sie dringen in die Zellen der Raupe ein und veranlassen diese, ein Eiweißmolekül zu produzieren, das das Immunsystem der Raupe erst mal ausknipst. Zudem wird in den Hormonhaushalt der Raupe dergestalt eingegriffen, dass sich das Raupenstadium verlängert und die Gefräßigkeit zunimmt – damit der Schlupfwespennachwuchs genügend Zeit hat, es sich gut gehen zu lassen. Die Eier der Schlupfwespe sind zudem mit einem Eiweißstoff überzogen, der ihnen das Überleben in den ersten Minuten sichert, die der Virus braucht, um das Immun- und Hormonsystem zu kapern.
Puppenkokon im Detail
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Offenbar ist es so, dass die Schlupfwespen vor mehr als 100 Mio. Jahren noch von dem Virus befallen und krank gemacht wurden, der ihnen heute das Überleben sichert. Mittlerweile hat sich das Zusammenleben von Virus und Wespe in eine Symbiose verwandelt. Das Virus hat sein Genom in das der Wespe integriert, verzichtet sozusagen aber darauf, sich selbst in der Wespe reproduzieren zu lassen. Die Wespe steuert selbst, wann Viruspartikel produziert werden: In den Eierstöcken zum Zeitpunkt der Eiablage. Wie oben beschrieben stellen sich diese Viruspartikel ganz in den Dienst der Wespenvermehrung. Die eigene Reproduktion steht nicht auf dem Terminkalender. Menschlich gesprochen stellt das Virus seine überragende Fähigkeit zur Verfügung, in fremde Zellen einzudringen, das Genom zu kapern und irgendwelche Substanzen produzieren zu lassen. Im Gegenzug bietet die Wespe den Viren einen sicheren Unterschlupf im eigenen Genom, wo es automatisch mit vermehrt wird, wenn’s mit der Wespenvermehrung klappt.

Damit nicht genug werden die Larven der Kohlweißlings-Schlupfwespe selbst Opfer anderer Schlupfwespen. Diese legen ihre Eier ebenfalls in die bedauernswerten Kohlweißlingsraupen. Dort angekommen suchen diese jedoch nach den Larven von Cotesia glomerata um sie ihrerseits zu parasitieren.

Eigentlich wollte ich Euch noch zeigen, wie die jungen Schlupfwespen aus den Puppen schlüpfen. Bei einem meiner regelmäßigen Kontrollgänge habe ich dann eine Milbe entdeckt, die sich in dem „Gelege“ zu schaffen machte. Glaub aus einem Schlupf wird für die Schlupfwespen nix mehr. Deshalb hab ich mich entschlossen, die Doku jetzt hoch zu laden.
Milbe am Kokon
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Sollte jemand von Euch Bilder der ausgewachsenen Kohlweißlings-Schlupfwespe haben, kann er sie gerne hier hinzufügen. Ansonsten pflanze ich dieses Jahr wieder Rosenkohl :) . Vielleicht klappt’s mit Imago-Bildern dann im Herbst.

Bei den Recherchen zu dieser Doku bin ich noch auf andere interessanten Sachverhalt gestoßen, die ich hier kurz anreißen möchte:
• Bei Hautflüglern entstehen Männchen (wie z.B. die Bienendrohnen) aus unbefruchteten Eiern. Sie sind also nur mit ihrer Mutter verwandt.
• Bei manchen Schlupfwespen schlüpfen aus einem Ei gleich mehrere Larven. Monsanto würde ein Königreich für diese Klontechnik geben.
• In den USA wurde eine Pflanze eingeschleppt (Pueraxia lobata), die sich wie die Pest ausbreitet. Um sie zu bekämpfen, werden schlupfwespeninfizierte Raupen eingesetzt, weil die viel gefräßiger sind. Außerdem schlüpfen daraus nie fertigen Falter, die evtl. andere Nutzpflanzen schädigen könnten.

So und jetzt noch ein paar Suchvorschläge für’s Netz zum erweiterten Thema:
• Hyperparasitismus
• Nudivirus
• Polyembryonie

Gruß Herbert

ANHANG:
Links zum Thema, die mir als Grundlage für den Artikel gedient haben:
• Systematik der Hautflügler: https://de.wikipedia.org/wiki/Systematik_der_Hautflügler
• Ein Paradeparasit, der im Haushalt hilft: http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2011-12/unterschaetztes-tier-schlupfwespe
• Die Kohlweislings-Schlupfwespe: https://de.wikipedia.org/wiki/Kohlweißlings-Schlupfwespe
und https://observationsofanerd.blogspot.de/2009/05/this-weeks-sci-fi-worthy-parasite.html (englisch)
• Über den Virus in den Schlupfwespen: http://www.spektrum.de/magazin/die-geheimwaffe-der-schlupfwespen/823993
und http://www.zeit.de/2009/10/N-Wespen
• Hymenopteren – Geschlechtsbestimmung: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/hautfluegler/30915
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Beitragvon Gabi Buschmann » 25. Mär 2017, 16:55

Hallo, Herbert,

der Text deiner Spitzen-Doku liest sich spannender als ein Krimi.
Mich fasziniert der Parasitismus immer wieder. der von dir geschilderte
Doppelparasitismus, wo der Parasit selbst wieder parasitiert wird, ist
unglaublich komplex und die Geschichte mit den Viren finde ich
geradezu sensationell. Was für ausgeklügelte Systeme da zusammen-
spielen, das ist unfassbar.
Ich finde es super, dass du neben den sehr guten Bildern
der Raupe mit den sich verpuppenden Larven und dem Detail eines
Kokons die parasitierende Milbe gefunden hast und mit einem
aussagekräftigen Foto dokumentieren konntest.
Vielen Dank, ich bin begeistert. Auch für die Suchvorschläge und Links
zum Thema vielen Dank!
Liebe Grüße Gabi
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Beitragvon Otto G. » 25. Mär 2017, 23:22

Hallo Herbert

eine fantastische Doku,danke fürs Zeigen.
Was die Natur so vollbringt,ist oft unglaublich.

Gruss
Otto
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Beitragvon Werner Buschmann » 25. Mär 2017, 23:58

Hallo Herbert,

ich bin sprachlos.

:clapping:

Klasse Einzelleistung.

Was für eine spannende Geschichte, besser ein Krimi,
den da die Natur schreibt, und den Du so schön auf-
genommen hast.

Bin begeistert.

:drinks
________________
Liebe Grüße, passt auf Euch auf und vergesst das Lächeln nicht!
Werner
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Meine Sternebewertung beziehen meine Bewertung immer auf die Gesamtheit der
im Forum gezeigten Bilder.
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Beitragvon Karin » 26. Mär 2017, 06:26

Hallo Herbert
das ist wirklich eine spannende Doku und so etwas bekommt man normalerweise gar nicht mit , :admin: für s zeigen :D
viele Grüße
Karin
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Beitragvon Freddie » 28. Mär 2017, 20:36

Hallo Herbert,

auch ich möchte mich für die interessante Doku bedanken.
Du hast dir sehr viel Mühe gegeben und spitzenmäßig recherchiert.
Meine Kritiken spiegeln nur meine persönliche Ansicht wider.
Sie sollen helfen, sind aber völlig unverbindlich und keinesfalls böse gemeint.
Alle hier von mir gezeigten Bilder dürfen ungefragt für die Artengalerie verwendet werden.
Liebe Grüße und allzeit Gut Licht, Friedhelm.

Hier könnt Ihr meine Homepage besuchen: http://freddies-makro-blog.blogspot.de/
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Beitragvon Ajott » 29. Mär 2017, 15:13

Hallöchen Herbert,

wow, das ist eine 1A-Doku mit einer Fülle an Informationen. Da hast du ganze Arbeit geleistet und allerhand informatives zusammengetragen. Meinen Respekt! Toll, dass du die parasitierte Raupe und die Kokons der Wespen ablichten konntest. Bin gespannt, ob auch die Wespe selbst dir noch vor die Linse kommen wird dieses Jahr.

Eine Kleinigkeit am Rande, die mir mal wieder aufgefallen ist. Deutsche Namen sind doch oft irreführen, unklar und verwirrend.
So bist du hier auch in eine Falle getappt denke ich, wofür du nicht wirklich viel kannst, denn das ganze ist echt ein bisschen verwirrend. Innerhalb der Hautflügler gibt es die Überfamilie der Schlupfwespenartigen. Diese kann man dann weiter aufteilen in die Familie der (echten) Schlupfwespen und der Brackwespen. Folglich ist die Kohlweislings-Schlupfwespe zwar eine Schlupfwespenartige, müsste aber richtiger Kohlweislingsbrackwespe heißen. Der andere Name ist irreführend. Solche Beispiele gibt es aber zuhauf in der deutschen Sprache. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man einfach den wissenschaftlichen Namen mit dazu nennt. Das hast du hier ja gemacht, bestens!

liebe Grüße
Aj
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Beitragvon dirk » 29. Mär 2017, 15:50

Hallo Herbert,

Hut ab: eine starke und sehr interessante Doku - das hat sicher einiges an Arbeit gemacht.
Da hab`ich doch echt wieder was dazu gelernt und spannend ist`s auch noch ( besser als so mancher Tatort ).
Vielen Dank.

LG Dirk
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Beitragvon makrolino » 8. Apr 2017, 15:59

Hallo Herbert,

super spannend und informativ deine Doku und noch dazu sehr gut bebildert !! :DH: :DH:
Du hast dir viel Arbeit damit gemacht, wofür ich dir vielmals DANKE !! Hab´
mich gern mit diesem Thema befasst und wieder einiges gelernt.
:sm2:


Liebe Grüße,
Inka
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Fotografie ist für mich:
Bekanntes neu entdecken, genießen und ehrfürchtig staunen.


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Beitragvon Corela » 10. Apr 2017, 22:43

Hallo Herbert,

ein Tatort am Sonntag Abend ist nix gegen deine Doku.
Das war spannender und sehr schön bebildert.
Vielen Dank.
lG
Conny


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„Die Abende im Garten sind so schön, daß ich mich nicht entschließen konnte, mich an den Schreibtisch zu setzen“ – Max Liebermann, 1911.

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