Geschlechterverhältnisse und Multipler Amplexus bei Erdkröten
Verfasst: 10. Apr 2018, 20:43
Hi zusammen,
irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Geschlechterverhältnisse der Erdkröten bei meinem Laichgewässer (ihr wisst schon, was ich meine ) in diesem Jahr besonders dramatisch zu Ungunsten der Weibchen ausfällt.
Verschobene Geschlechterverteilung bei Erdkröten ist eher die Regel als die Ausnahme. Zwei bis acht Männchen können auf ein Weibchen kommen. Das kann sowohl populationsspezifisch (also für die Erdkröten an einem bestimmten Gewässer) sein, als auch zwischen Jahren an einem Standort variieren. Aus diesem Grund kann man auch immer wieder diese sogenannten Paarungsbälle - oder multiple Amplexus - beobachten. Auch in diesem Jahr haben es einige von euch schon hier gezeigt, zum Beispiel Enricos Relief oder sein Dreier im Weiher
Diese starken Schwankungen innerhalb einer Population kommen zustande, weil Weibchen nicht jedes Jahr ablaichen und der Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung bei Weibchen stark variieren kann. Ein Weibchen braucht zwischen drei und acht Jahren bis sie zum ersten Mal an ihr Geburtsgewässer zurückkehrt. Das ist abhängig davon, wie schnell sie wächst und wieviele Resourcen sie einlagern kann. Das wiederrum ist natürlich abhängig von ihrer Ernährung. Auch Weibchen, die bereits abgelaicht haben, also schon geschlechtsreif sind, machen es von diesen Faktoren abhängig, ob sie im Frühjahr ablaichen oder eine (oder mehrere) Laichperioden überspringen.
Nicht jedes Weibchen schafft es mehr als einmal zum Laichgewässer zurück. Für viele sind die Strapazen so groß, dass sie sich davon nicht mehr erholen.. und dazu müssen sie noch nicht mal zwingend von liebeshungrigen Männchen ertränkt werden. Von zehn Weibchen, die das Laichgewässer erreichen, verlassen nur neun bis sechs dieses auch wieder. Was für eine heftige Quote. Nur zwischen 5 und 25% aller Weibchen laichen mehr als einmal im Leben ab.
Männchen hingegen werden oft recht früh geschlechtsreif. Wenn alles richtig gut läuft schon nach 2 Jahren. Und sie sind Wiederholungstäter. Solange sie können, treibt es sie jedes Jahr ans Laichgewässer zurück. Und sie überstehen diese trubulente Zeit auch viel besser.
Es wundert also nicht, dass die Geschlechterverhältnisse am Laichgewässer so stark verschoben sein können.
Interessanterweise ist es wohl so, dass bei eher urban liegenden Populationen die Verhältnisse nicht ganz so schief liegen. Der Hintergrund ist eher bedrückend: hier haben die viel häufiger wandernden Männchen ein im Vergleich zu den Weibchen erhöhtes Sterberisiko durch den Straßenverkehr. dadurch gleichen sich die Geschlechterverhältnisse eher an.
Zurück zu meinem Gewässer. Ich beobachte den Moorsee mitten im abgeschiedenen Wald jetzt im 8. Jahr. Eine gewisse Unbalance der Geschlechterverteilung habe ich hier freilich immer schon beobachtet. Paarungsbälle sah ich jedes Jahr im Wasser. Aber in diesem Jahr ist es besonders heftig. Einzelne Weibchen habe ich überhaupt nicht bei der Wanderung gesehen, was je näher man dem Gewässer kommt auch nicht ganz unüblich ist. Aber interessanterweise habe ich auch bei noch wandernden Damen mehrfach einen multiplen Amplexus beobachtet.
Ich fand auch mitunter Männchen, die sich hoffnungslos ineinander verkeilt hatten. Das ist eher ungewöhnlich, weil ihr "Alarmsystem" - ein helles Quäken, was andere Männchen darauf hinweist, dass sie keine Weibchen sind (im Video unten zu hören) - normalerweise ganz gut funktioniert.
Aber mir verschlug es fast den Atem, als ich diesen Klumpen entdeckte.
Ich habe auch ein kurzes Video gedreht: https://vimeo.com/264064434
(im Hintergrund hört man übrigens die Moorfrösche blubbern)
Sowas habe ich auch noch nicht gesehen, jedenfalls nicht an Land. Ich verfolge ja eigentlich eine Nichteingriffspolitik in der Natur, in der auch Beutegreifer überleben müssen. In diesen Fällen - außer denen, wo ausschließlich Männchen beteiligt waren, weil ich heir davon ausging, dass die irgendwann schon merken, dass es nicht weiter geht - habe ich aber damit gebrochen. Keiner zieht aus diesen unschönen Situationen einen Nutzen ... außer vielleicht der nächste Fuchs oder Dachs, der ein leichtes Mahl vorfindet. Aber die zur Zeit in Massen anwesenden Kröten sind auch lebend keine schwer aufzustöbernden Mahlzeiten.
Der große Klumpen bestand aus 9 (!!) Männchen die sich an eines der größten Weibchen klammerten, die ich je gesehen habe. War wohl besonders sexy. Zwei weitere Männchen hatten sich gelöst, bevor ich eingriff. Es waren also bis zu 11 Männchen an der armen dame... und die versuchte tatsächlich immernoch zu laufen.
Ich habe sie dann etwas abseits der größten Männchenansammlungen ins Wasser gesetzt. Da blieb sie dann auch völlig erschöpft sitzen. Keine Ahnung, ob sie noch für den Arterhalt sorgen konnte oder kann.
Insgesamt habe ich bisher nur wenige Weibchen oder Paarungen beobachtet, aber massenhaft Männchen.
Liebe Grüße
Aj
irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Geschlechterverhältnisse der Erdkröten bei meinem Laichgewässer (ihr wisst schon, was ich meine ) in diesem Jahr besonders dramatisch zu Ungunsten der Weibchen ausfällt.
Verschobene Geschlechterverteilung bei Erdkröten ist eher die Regel als die Ausnahme. Zwei bis acht Männchen können auf ein Weibchen kommen. Das kann sowohl populationsspezifisch (also für die Erdkröten an einem bestimmten Gewässer) sein, als auch zwischen Jahren an einem Standort variieren. Aus diesem Grund kann man auch immer wieder diese sogenannten Paarungsbälle - oder multiple Amplexus - beobachten. Auch in diesem Jahr haben es einige von euch schon hier gezeigt, zum Beispiel Enricos Relief oder sein Dreier im Weiher
Diese starken Schwankungen innerhalb einer Population kommen zustande, weil Weibchen nicht jedes Jahr ablaichen und der Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung bei Weibchen stark variieren kann. Ein Weibchen braucht zwischen drei und acht Jahren bis sie zum ersten Mal an ihr Geburtsgewässer zurückkehrt. Das ist abhängig davon, wie schnell sie wächst und wieviele Resourcen sie einlagern kann. Das wiederrum ist natürlich abhängig von ihrer Ernährung. Auch Weibchen, die bereits abgelaicht haben, also schon geschlechtsreif sind, machen es von diesen Faktoren abhängig, ob sie im Frühjahr ablaichen oder eine (oder mehrere) Laichperioden überspringen.
Nicht jedes Weibchen schafft es mehr als einmal zum Laichgewässer zurück. Für viele sind die Strapazen so groß, dass sie sich davon nicht mehr erholen.. und dazu müssen sie noch nicht mal zwingend von liebeshungrigen Männchen ertränkt werden. Von zehn Weibchen, die das Laichgewässer erreichen, verlassen nur neun bis sechs dieses auch wieder. Was für eine heftige Quote. Nur zwischen 5 und 25% aller Weibchen laichen mehr als einmal im Leben ab.
Männchen hingegen werden oft recht früh geschlechtsreif. Wenn alles richtig gut läuft schon nach 2 Jahren. Und sie sind Wiederholungstäter. Solange sie können, treibt es sie jedes Jahr ans Laichgewässer zurück. Und sie überstehen diese trubulente Zeit auch viel besser.
Es wundert also nicht, dass die Geschlechterverhältnisse am Laichgewässer so stark verschoben sein können.
Interessanterweise ist es wohl so, dass bei eher urban liegenden Populationen die Verhältnisse nicht ganz so schief liegen. Der Hintergrund ist eher bedrückend: hier haben die viel häufiger wandernden Männchen ein im Vergleich zu den Weibchen erhöhtes Sterberisiko durch den Straßenverkehr. dadurch gleichen sich die Geschlechterverhältnisse eher an.
Zurück zu meinem Gewässer. Ich beobachte den Moorsee mitten im abgeschiedenen Wald jetzt im 8. Jahr. Eine gewisse Unbalance der Geschlechterverteilung habe ich hier freilich immer schon beobachtet. Paarungsbälle sah ich jedes Jahr im Wasser. Aber in diesem Jahr ist es besonders heftig. Einzelne Weibchen habe ich überhaupt nicht bei der Wanderung gesehen, was je näher man dem Gewässer kommt auch nicht ganz unüblich ist. Aber interessanterweise habe ich auch bei noch wandernden Damen mehrfach einen multiplen Amplexus beobachtet.
Ich fand auch mitunter Männchen, die sich hoffnungslos ineinander verkeilt hatten. Das ist eher ungewöhnlich, weil ihr "Alarmsystem" - ein helles Quäken, was andere Männchen darauf hinweist, dass sie keine Weibchen sind (im Video unten zu hören) - normalerweise ganz gut funktioniert.
Aber mir verschlug es fast den Atem, als ich diesen Klumpen entdeckte.
Ich habe auch ein kurzes Video gedreht: https://vimeo.com/264064434
(im Hintergrund hört man übrigens die Moorfrösche blubbern)
Sowas habe ich auch noch nicht gesehen, jedenfalls nicht an Land. Ich verfolge ja eigentlich eine Nichteingriffspolitik in der Natur, in der auch Beutegreifer überleben müssen. In diesen Fällen - außer denen, wo ausschließlich Männchen beteiligt waren, weil ich heir davon ausging, dass die irgendwann schon merken, dass es nicht weiter geht - habe ich aber damit gebrochen. Keiner zieht aus diesen unschönen Situationen einen Nutzen ... außer vielleicht der nächste Fuchs oder Dachs, der ein leichtes Mahl vorfindet. Aber die zur Zeit in Massen anwesenden Kröten sind auch lebend keine schwer aufzustöbernden Mahlzeiten.
Der große Klumpen bestand aus 9 (!!) Männchen die sich an eines der größten Weibchen klammerten, die ich je gesehen habe. War wohl besonders sexy. Zwei weitere Männchen hatten sich gelöst, bevor ich eingriff. Es waren also bis zu 11 Männchen an der armen dame... und die versuchte tatsächlich immernoch zu laufen.
Ich habe sie dann etwas abseits der größten Männchenansammlungen ins Wasser gesetzt. Da blieb sie dann auch völlig erschöpft sitzen. Keine Ahnung, ob sie noch für den Arterhalt sorgen konnte oder kann.
Insgesamt habe ich bisher nur wenige Weibchen oder Paarungen beobachtet, aber massenhaft Männchen.
Liebe Grüße
Aj