Winterfunde

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
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Jürgen Fischer
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Winterfunde

Beitragvon Jürgen Fischer » 1. Jan 2021, 21:48

Hi liebe Makrofreunde,
Ich muss gestehen, dass ich in den vergangenen Jahren meist die Kamera Ende November eingemottet und erst im
Frühjahr wieder rausgeholt habe.
Der allgemeinen Kugelspringermanie folgend, war das heuer ganz anders. Und so war ich überrascht,
als ich an den zwei etwas wärmeren Tagen im Dezember, neben den KS auch andere Wirbellose fand,
die ich nicht unbedingt im Winter im Freiland erwartet hätte. Und das waren nicht nur winzige Tierchen, wie die Beispiele zeigen.
Allerdings sind es gerade die Winzlinge, die man (oder zumindest ich) nicht immer zufriedenstellend bestimmen kann.
Aber ein paar Erkenntnisse konnte ich doch aus den Funden ziehen, die ich auch gerne weitergebe.
Alle Bilder wurden mit dem Laowa oder dem 60er Macro mit ZR gemacht + Softbox.
Die Begleittexte liegen wieder in den Bilddaten.
Dateianhänge
Der Weiße Wasserkugelspringer (Sminthurides aquaticus) ist ein Winzling, den man auch im Winter noch auf der
Oberfläche von ruhigen Gewässern finden kann. Meist sitzt er auf im Wasser schwimmenden Blättern und kommt auch mal in größerer Zahl vor. Er tritt nur bei etwas höheren Temperaturen auf, bei Frost ist er weg.
Ich häng bei dem immer mit dem Kopf halb im Wasser, deswegen hab ich noch keinen größeren ABM geschafft!
Sminthurides-aquaticus-1web.jpg (419.36 KiB) 451 mal betrachtet
Sminthurides-aquaticus-1web.jpg
Den Bunten Springschwanz (Orchesella flavescens) wird so rund 3-4 mm lang und man findet ihn ganzjährig unter Totholz oder in der Bodenstreu, Laubblatthaufen sind auch ideale Lebensräume. Orchesella flavescens ernährt sich von verwesendem organischen Material (Detritus). Damit erfüllt die Art eine wichtige Rolle als Humuserzeuger.
Seine Färbung ist sehr variabel und auch die Zeichnung zeigt Varianten auf.
Orchesella flavescens cf Orchesellinae Colembola 02 .jpg (432.28 KiB) 451 mal betrachtet
Orchesella flavescens cf Orchesellinae Colembola 02 .jpg
Neanura muscorum gehört auch zu den Springschwänzen, hat aber keine Sprungfähigkeit. Er erinnert etwas an Podura aquatica, den Schwarzen Wasserspringschwanz. Neanura meidet das Wasser, braucht aber eine hohe Luftfeuchtigkeit. Ich fand ihn am Bachufer in vermoderndem Altgras. Auch er zählt zu den Humusbildnern.
Er wird etwa 2-3mm lang, hat ein zweigelapptes Hinterleibssegment und wenige Punktocellen.
Neanura muscorum cf Collembolen Schönbrunn 1615 2.jpg (850.77 KiB) 451 mal betrachtet
Neanura muscorum cf Collembolen Schönbrunn 1615 2.jpg
Der kleine gelbe Springschwanz (den ich leider noch nicht bestimmen konnte) leitet über zu etwas größeren Arten.
Im Streu und auch auf Totholz konnte ich bei etwas höheren Temperaturen viele kleine Asseln beobachten.
Es müsste sich um die Wald- bzw Moosassel Philoscia muscorum handeln, die eine recht typische Zeichnung besitzt.
Die Unterschiede in der Anzahl der Geißelglieder und andere anatomische Merkmale spar ich mir erst mal.
Da müsste man einfach mal saubere Vergleichsfotos machen.
Die kleinen Krebstiere (das gezeigte Jungtier war knapp einen cm lang), ernährt sich ebenfalls von Detritus und kommt sehr häufig vor.
Moos o Waldassel Philoscia muscorum-1570a-1200.jpg (802.34 KiB) 451 mal betrachtet
Moos o Waldassel Philoscia muscorum-1570a-1200.jpg
Das Bild zeigt eine Staublaus (Ordnung Psocoptera), die für mich aktuell noch unbestimmbar sind.
Mein Exemplar hatte mit Flügel etwa die Größe eines größeren Springschwanzes und bewegte sich nicht schnell
aber kontinuierlich im Kompost. Die Flügel der Staubläuse sind dachartig über dem Körper gefaltet, Weibchen haben bei dieser Gruppe oft nur Stummelflügel oder die Flügel fehlen ganz.
Staublaus cf + Psocidae Schönbrunn 1278 2.jpg (310.47 KiB) 451 mal betrachtet
Staublaus cf + Psocidae Schönbrunn 1278 2.jpg
Die schwarze Blattlaus kommt im Aussehen der Schwarzen Bohnenlaus (Aphis fabae) sehr nahe.
Ich fand viele dieser Läuse an der Unterseite der Blätter des Gefleckten Lungenkrautes.
Mir war bislang nicht bewusst, dass diese Blattläuse weitgehend ungeschützt in Gruppen überwintern.
An dem etwas wärmeren Wintertag, als ich die Gruppe fand, marschierten auch einige Tiere auf dem Lagerholz in der Nähe
herum. Das gezeigte Tier war ungefähr 3mm lang.
Blattlaus + 1476 Schönbrunn .jpg (510.98 KiB) 451 mal betrachtet
Blattlaus + 1476 Schönbrunn .jpg
Sehr überrascht war ich über eine kleine Ameise, die sich auf der gefällten Weide zusammen mit den Bunten Kugelspringern tummelte und ausführlich Körperpflege betrieb.
Es handelt sich wohl um die Rotgelbe Knotenameise, die auch Rote Gartenameise genannt wird.
Nach wenigen Minuten war sie wieder unter einem Rindenstück verschwunden.
Knotenameise 2054 3.jpg (546.15 KiB) 451 mal betrachtet
Knotenameise 2054 3.jpg
Der nächste Fund zeigt wieder einen Hautflügler, der sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Ameisen hat. Aus einem Meter Entfernung sah ich nur einen Punkt auf einem grünen Plastikdeckel auf unserer Terrasse, erst durch das Objektiv konnte ich das Tier dann als Schlupfwespe erkennen. Dank Benjamin unserem Hautflügler-Experten kann ich sie wohl in die Gattung Gelis einordnen. Die meisten Arten der Gattung zeigen Ameisenmimikry, einige sind flügellos, aber wegen der Anzahl der Fühlerglieder doch einigermaßen gesichert den Ichneumoniden (Schlupfwespen) zu zurechnen. Die Körperlänge meiner Gelis betrug höchstens 5mm.
Ichneumonidae Schlupfwespen + Schönbrunn 0003.jpg (450.17 KiB) 451 mal betrachtet
Ichneumonidae Schlupfwespen + Schönbrunn 0003.jpg
Auf dem moosbewachsenen Weidenstamm krabbelte auch etwas träge ein, verglichen mit den Kugelspringern, riesengroßer Käfer. Es war ein Aaskäfer, mit dem Namen "Schwarzer Aaskäfer" oder "Schwarzer Schneckenjäger" (Phosphuge atrata). Diese Käfer legen nicht wie andere Aaskäfer ihre Eier auf Aas und Kot, wovon sich dann die Larven ernähren, sondern sie und die adulten Käfer ernähren sich von Schnecken.
Unter der losen Rinde der Weide fand ich noch eine größere Gruppe dieser Käfer, die sich, begünstigt durch die flache
Körperform eng an den Stamm anschmiegten und so Schutz suchten.
Schwarzer Aaskäfer Phosphuga atrata Silphidae Schönbrunn 1872 05.jpg (913.83 KiB) 451 mal betrachtet
Schwarzer Aaskäfer Phosphuga atrata Silphidae Schönbrunn 1872 05.jpg
Gefreut hab ich mich dann aber auch noch über eine große Radnetzspinne, die ebenfalls in einer Rindenspalte saß.
Das Bild zeigt die Gewöhnliche Spaltenkreuzspinne Nuctenea umbratica, eine sehr düster wirkende Art, die sehr oft an Gebäuden, Scheunen, aber auch unter der losen Rinde von Bäumen oder Totholz zu finden ist. Sie kann ihren Hinterleib stark abflachen und gelangt so auch in kleine Spalten und Ritzen.
Nuctenea-umbratica-1200.jpg (845.16 KiB) 451 mal betrachtet
Nuctenea-umbratica-1200.jpg
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Beitragvon Il-as » 1. Jan 2021, 23:35

Hallo Jürgen,

ich erstarren in Ehrfurcht. Das sind tolle Bilder. :ok: :clapping:

Einige dieser Winzlinge habe ich auch entdeckt aber um sie in einer solchen BQ festhalten zu können fehlt mir leider die Ausrüstung. :cray:

Ein guter Fundort war bei mir im Gsrten unter anderem das Fallobst auf dem Kompost .
Dort habe ich außer verschiedenen, winzigen Springschwänzen auch eine helle Schmetterlingsmücken Art und eigenartige winzige Fliegen entdeckt.

Jetzt dauert es mir zu lange, bis es wieder wärmer wird, um da genauer hinzuschauen und mein Glück zu versuchen.

L G. Astrid
Meine Bilder stelle ich für die Artengalerie gerne zur Verfügung.

Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.  
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Beitragvon Werner Buschmann » 2. Jan 2021, 00:37

Hallo Jürgen,

das ist doch toll, dass sich jetzt die Makrosaison
verlängert hat. Deine gefundenen und hervorragend fotografierten
Arten machen in ihrer Vielfalt richtig Spaß.
Ich habe heute nach dem vielen Schnee noch einen Kugelspringer in der Vogeltränke (90cm. Durchmesser)
gefunden. Morgen soll die Sonne etwas rauskommen, da bin ich mal gespannt.
________________
Liebe Grüße, passt auf Euch auf und vergesst das Lächeln nicht!
Werner
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Beitragvon piper » 2. Jan 2021, 09:03

Hallo Jürgen,

ganz schön was los bei Dir!!
Gestern habe ich eine sehr schöne Doku über den Wald gesehen
und dabei auch erfahren, wie wichtig Springschwänze (zu denen
wohl auch die Kugelspringer gehören) für die Waldökologie sind!
Die Bilder sind alle klasse geworden!
Liebe Grüße Ute

Die Freude am Kleinen ist die schwierigste Freude, denn es gehört ein großes Herz dazu.
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Beitragvon mischl » 2. Jan 2021, 09:49

Hallo Jürgen,

das sind ja tolle Funde die du da in super Qualität ablichten konntest. Du zeigst eindrücklich, es lohnt sich auch im Winter mal mit der Kamera mal loszuziehen. Schön, dass die Makro-Saison wohl kein Ende findet und sich immer mal wieder was interessantes finden läßt

Lieben Gruß
Mischl
Zuletzt geändert von mischl am 2. Jan 2021, 09:49, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Ehab Edward » 2. Jan 2021, 10:04

Hallo Jürgen,

Die Bilder sind alle klasse,und du hast toll fotografiert. :clapping: :clapping: :clapping:
Liebe Grüße
Ehab
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Beitragvon Freddie » 2. Jan 2021, 11:00

Jürgen Fischer hat geschrieben:Ich muss gestehen, dass ich in den vergangenen Jahren meist die Kamera
Ende November eingemottet und erst im Frühjahr wieder rausgeholt habe.


Hallo Jürgen,

das mache ich auch immer so, weil ich den Winter für die Aufarbeitung meiner Bilder brauche.

Aber deine Belege zeigen eindeutig, dass man auch im Winter Motive findet.
Mit der Klimaerwärmung werden die Funde wohl noch zahlreicher.

Sehr sehenswerte Bilder mit interessanten Infos. Vielen Dank.

Eine Staublaus habe ich im November auch mal fotografiert.
Meine Kritiken spiegeln nur meine persönliche Ansicht wider.
Sie sollen helfen, sind aber völlig unverbindlich und keinesfalls böse gemeint.
Alle hier von mir gezeigten Bilder dürfen ungefragt für die Artengalerie verwendet werden.
Liebe Grüße und allzeit Gut Licht, Friedhelm.

Hier könnt Ihr meine Homepage besuchen: http://freddies-makro-blog.blogspot.de/
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Beitragvon Harmonie » 2. Jan 2021, 11:15

Hallo Jürgen,

ich habe mich auch schon manchen Winter gewundert, was man
da doch noch für kl. Krabbler finden kann.
Beeindruckende Aufnahmen zeigst du hier.
Hatte nicht mal Anja (Ajott) einen Sammelthreat so solch winterlichen Funden erstellt?
Ich finde ihn allerdings nicht.
Ja, es lohnt sich auch im Winter, genauer hinzuschauen.

LG
Christine
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An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an all die User, die meinen Bildern
Beachtung, Aufmerksamkeit und Kommentare schenken.
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--- Alle hier von mir gezeigten Bilder dürfen ungefragt für die Artengalerie verwendet werden. ---
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Beitragvon Gabi Buschmann » 2. Jan 2021, 14:27

Hallo, Jürgen,

vielen Dank für diese Doku, die sehr eindrucksvoll
zeigt, was man alles im Winter noch an Arten finden
kann, wenn man genau hinschaut.
Mit einer solchen Artenvielfalt hätte ich nicht gerechnet.
Da sind dir tolle Bilder gelungen, mit einer Detailfülle,
die ich beeindruckend finde. Vielen Dank auch für die
interessanten Infos dazu!
Liebe Grüße Gabi
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Beitragvon Otto G. » 2. Jan 2021, 16:39

Hallo Jürgen

Wahnsinn,was du alles gefunden und sehr eindrücklich bebildert hast.
Alle durchweg in sehr guter Qualität mit einer Fülle an Details,Respekt!!

Gruss
Otto

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