Sandwespe Ammophila - kleine Doku zur Biologie der Gattung

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
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Jürgen Fischer
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Sandwespe Ammophila - kleine Doku zur Biologie der Gattung

Beitragvon Jürgen Fischer » 9. Jun 2012, 13:59

Hi liebe Naturfreunde,

nachdem ja in der Galerie kürzlich heftige Debatten über Sandwespen aufgekommen sind, hab ich heut mal auf die Schnelle ein paar Bilder ausgegraben, um ein wenig Aufklärung in Sachen Biologie von Ammophila zu versuchen.
Für viele mögen das olle Kamellen sein und sie wissen das ohnehin, aber wenn auch nur einer für sich Zusatzinformationen und Erkenntnisse daraus ziehen kann, hat sich der Aufwand gelohnt.

Was will ich mit den Bildern beweisen?

Nichts, absolut nichts!!!

Wenn ich was gelernt habe in rund 30 Jahren als Biologe, aus zahlreichen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Insekten- und Spinnentierordnungen, dann ist es das, dass man aus Fotos keine Pauschalierungen ableiten kann. Man kann gezeigte Situationen interpretieren, Analogschlüsse ziehen und Vermutungen äußern. Aber das war es dann auch schon. Natur lässt sich nicht in Regeln pressen, so wie wir Menschen das immer gern versuchen. Wir haben längst erkannt, dass jede postulierte Regel dutzende von Ausnahmen kennt. Natur ist nicht beliebig berechenbar, sie ist variabel und überraschend flexibel. Und genau diese Variabilität, diese Diversität und Abweichung von der regel ist u.a. Basis und Triebfeder der Evolution und der Tatsache, dass es eine unendlich erscheinende Vielfalt an Lebewesen auf der Erde gibt.
Würde ich aufgrund einiger oder eines einzigen Fotos pauschale und als unumstößlich formulierte Gesetze ableiten wollen, hätte ich meinen Ruf als seriöser Biologe verspielt.

Doch jetzt mal einige vielleicht interessante Bilder aus dem Leben der Ammophila, möge jeder der es möchte Positives daraus ziehen!
Dateianhänge
Die Gattung Ammophila gehört zu den Grabwespen und trägt zum Beispiel große fette Eulenraupen in eine Brutröhre ein um darauf Eier abzulegen.
Zum Beutefang hat A. extrem kräftige, aber auch extrem sensible Mandibeln, also Beißwerkzeuge. Diese müssen filigran gelagert sein, weil bei einem starren und groben Schließmechanismus eine Raupe glatt durchgebissen bzw verletzt werden würde. Und dann wäre sie für die Wespenbrut als Frischfleischvorrat unbrauchbar!
Ammophila 01.jpg (269.65 KiB) 4736 mal betrachtet
Ammophila 01.jpg
Mit diesen hochempfindlichen Beißzangen schleppt A. die Beute nun durchs Dickicht, über Stock und Stein. Nicht selten bleibt die sperrige Raupe hängen. Eine Verletzung einer Beißzange ist nicht von der Natur vorgesehen, aber auch nicht auszuschließen. Raubinsekten mit abgebrochenen Mandibeln hab ich schon genug gesehen.
Ammophila 02.JPG (371.94 KiB) 4724 mal betrachtet
Ammophila 02.JPG
Ammophila 03.JPG (436.5 KiB) 4729 mal betrachtet
Ammophila 03.JPG
In dem vorbereiteten Erdloch wird nun die Raupe eingetragen. Dabei verschwindet sowohl die Raupe als auch die Wespe. Kein Wunder, der Gang kann das 4-5fache der Wespenkörperlänge betragen.
Ammophila 04.JPG (434.49 KiB) 4732 mal betrachtet
Ammophila 04.JPG
Zuletzt geändert von Jürgen Fischer am 9. Jun 2012, 23:28, insgesamt 4-mal geändert.
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Ammophila 2

Beitragvon Jürgen Fischer » 9. Jun 2012, 14:10

Diese Höhle muss erst mal von der Wespe gegraben werden. Ihre Beißwerkzeuge sind aber alles andere als das, was wir uns unter perfekten Grabschaufeln vorstellen. Die filigranen Zangen müssen über lange Zeit hinweg nun Erde, Steinchen und Hölzchen aus dem Weg räumen, oft ist der Untergrund knochentrocken und steinig.

Bei meinen vielen Beobachtungen solcher Grabtätigkeit kam ich allein durchs Zuschauen schon ins Schwitzen!

Schwerstarbeit in rasendem Tempo!

Die Gefahr die empfindlichen Zangen zu beschädigen besteht jederzeit, die Wespe muss oft immense Kraft einsetzen. Verletzungen auch hier nicht vorgesehen! Aber wir reden von Natur und nicht von Mathematik!

Ich denke, man kann der Wespe anhand der Bilder die Anstrengung nachempfinden:
Dateianhänge
Ammophila 05.jpg (379.58 KiB) 4494 mal betrachtet
Ammophila 05.jpg
Ammophila 06.JPG (335.76 KiB) 4491 mal betrachtet
Ammophila 06.JPG
Ammophila 07.JPG (475.78 KiB) 4488 mal betrachtet
Ammophila 07.JPG
Ammophila 08.JPG (346.94 KiB) 4486 mal betrachtet
Ammophila 08.JPG
Zuletzt geändert von Jürgen Fischer am 9. Jun 2012, 23:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Ammophila 3

Beitragvon Jürgen Fischer » 9. Jun 2012, 14:34

Teil 3
Dateianhänge
Ammophila 09.JPG (349.96 KiB) 4487 mal betrachtet
Ammophila 09.JPG
Der Aushub wird fortlaufend und in mühevoller Kleinarbeit oft fliegend in der Umgebung entsorgt.
Ammophila 10.JPG (373.53 KiB) 4487 mal betrachtet
Ammophila 10.JPG
Nun zur vielzitierten Schlafsstellung:

A. hält sich nach Art vieler Hymis an oft dürren Pflanzen fest mit Hilfe der Mandibeln. Diese Art des festklammerns ist aber nicht "stufenlos" und auch nicht die einzige "Schlafposition" der Wespe. In der Aufwachphase, die je nach Witterung durchaus sehr lange dauern kann, lockert sich der Biß, die Beine übernehmen mehr und mehr tragende Funktion. Ein "fakirartiges Schweben" kann oft beobachtet werden,aber mindestens ebenso oft hab ich A. schlafend angetroffen ohne diesen Klammerbiss.
Ammophila 11.JPG (468.31 KiB) 4485 mal betrachtet
Ammophila 11.JPG
Man muss oft auch genau hinschauen: Im Bild meint man, dass die Wespe sich noch mit den Mandibeln festklammert. Würde das eine Beinchen noch etwas höher ragen, könnte man die 2. Mandibelspitze nicht sehen und zur Theorie des Klammerbisses neigen!
Hier ist sie aber schon längst auf eine Schlafstellung übergegangen in der nicht mehr gebissen wird. Pumpbewegungen des Hinterleibs, wie sie häufig zu beobachten sind, sind auch nicht immer von konstanter Stärke, sondern sie steigern sich mit zunehmender Aktivität der Wespe. Bei diesem Bild hier hab ich z.B. lange Zeit keine beobachtet.
Ammophila 12.JPG (408.23 KiB) 4497 mal betrachtet
Ammophila 12.JPG
Hier in der Frontalen nochmal der deutliche Beleg, dass nicht mehr geklammert wird. Diese Stellung hatte die Wespe fast eineinhalb Stunden, es war ein kühler regnerischer Tag und sie döste einfach weiter vor sich hin.

Schaut man die Frontale an, so wird man leicht ahnen, dass in einer bestimmten Perspektive von der Seite die eine Zange überhaupt nicht zu sehen sein kann. Die beiden Zangen liegen oft sehr eng am Kopf an und nur die Mandibelspitzen ragen hervor.
Müsste ich eine Aussage zur Beschaffenheit einer Klaue machen, die man von einer Seite nicht sehen kann, würde ich immer diese Aussage von der Ansicht einer Frontalen abhängig machen oder sie bestenfalls als Spekulation formulieren.

Danke fürs Anschauen!

LG Jürgen
Ammophila 13.JPG (422.88 KiB) 4491 mal betrachtet
Ammophila 13.JPG
Zuletzt geändert von Jürgen Fischer am 10. Jun 2012, 00:00, insgesamt 3-mal geändert.
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Beitragvon Werner Buschmann » 10. Jun 2012, 01:07

Hallo Jürgen,

was Du in dieser kurzen Zeit an Bildmaterial und an
fundierten Aussagen zusammengetragen hast, ist
wahrlich beeindruckend.
Ich hoffe, dass viele User die Dokumentation eines Biologen
sorgfältig lesen, um ihr Wissen und ihre Kritikfähigkeit
zu schärfen.
Es wurde ja viel von berechtigten Zweifeln mit fachlicher und sachlicher Substanz
gesprochen.
Die Realität ist oft komplexer als man von einfachen Beobachtungen
ableiten kann.
Der Wissensunterschied zwischen den verschiedenen Usern ist sehr groß.
Wissensvorsprünge sollten aber sorgfältig daraufhin geprüft werden,
ob sie einer tieferen Überprüfung standhalten können.
Wer mehr weiß, trägt aus meiner Sicht auch eine größere Verantwortung dafür,
dass er seine Wissensmacht verantwortlich einsetzt.

Du gehörst zu den Menschen, die ihr großes Wissen
sehr bescheiden einsetzen.
Ich freue mich deshalb besonders, dass Du diese Zusammenstellung
bewerkstelligen konntest.

Werner
________________
Liebe Grüße, passt auf Euch auf und vergesst das Lächeln nicht!
Werner
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Beitragvon hansab » 10. Jun 2012, 06:15

Hallo Jürgen!

Eine sehr interessante Doku mit
super Bildern.
Danke dir für die Mühe!!!
Ich habe es mit großem Interesse gelesen
und verinnerlicht!
:sm2:
Liebe Grüße
Sabine

"Die Natur reicht uns die Hand der Freundschaft. Sie lädt uns ein, damit wir uns an ihrer Schönheit erfreuen."

Khalil Gibran

https://www.naturbegegnungen.at/
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Beitragvon chfleischli » 10. Jun 2012, 06:45

Hi Jürgen,

Danke für die Doku- sehr interessant!
Grüsse

Christoph

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Beitragvon Manni » 10. Jun 2012, 06:58

Hallo Jürgen

Diese Doku ist sehr informativ
und hier sehe ich Bilder,die ich ohne Deine Arbeit
nie zu Gesicht bekommen hätte,bin echt beeindruckt,
was Mutter Natur so alles bietet.

Beim vorletzten Bild sieht es wirklich so aus,
als wenn sie sich noch festgebissen hat,
aber das letzte zeigt und beweist hier ganz das Gegenteil.

Hiermit sage ich danke für Deine hervorragende Arbeit.... :sm2:
Liebe Grüße

Manni

JPG Nachbearbeitung ist wie Kochen aus Dosen - Die ursprüngliche Frische und Vielfalt ist für immer weg...
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Beitragvon ConradB » 10. Jun 2012, 07:01

Hallo Jürgen,

vielen Dank für Deinen informativen Beitrag zum Verhalten der Sandwespe. Über die hochwertigen Fotos dieses (hyperaktiven) Insektes bin ich besonders erstaunt. Toll gemacht. :DH:

Wenn man auf Youtube mal nach Sandwespe sucht, bekommt man sehr passend zu deinen Aufnahmen auch ein paar Filmchen aufgelistet. Wenn man denkt Ameisen wären aktiv, sollte man mal eine Sandwespe an ihrem Erdloch in Aktion gesehen haben. :shock: Unglaublich welch Energie die A. aufbringen kann und vor allem wie sie ihre Mandibeln einsetzt. Sie hat den Leatherman quasi immer dabei. ;)
Viele Grüße
Conrad
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Beitragvon StefH » 10. Jun 2012, 08:03

Hallo Jürgen,
vielen Dank für deine erstklassige Doku über diese interessanten Insekten, die ich in natura noch nicht beobachten konnte.
Viele Grüße von Stefanie
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Beitragvon Sirie1 » 10. Jun 2012, 08:14

Hi Jürgen!

Danke für diese tolle Dokumentation. Ist total interessant, die Bilder sind super dazu. Leider habe ich
diese Tierchen noch nie beobachten können, aber durch deine Mühe habe ich da jetzt einen kleinen
Einblick erhalten.

lg
Doris
Worauf es bei einem Foto ankommt, ist seine Fülle und Schlichtheit.

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