Lebensraumtyp Stadt und Siedlungsbereich

Einführung - Gartenteich - Hauswand - Stadtbrache

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Lebensraumtyp Stadt und Siedlungsbereich

Beitragvon Artengalerie » 18. Jul 2017, 22:17

Was zeichnet den Lebensraum aus?
Die Stadt bietet oft wärmere und trockenere klimatische Bedingungen als das Umland. Gebäude und Verkehr heizen die Umgebung auf, Regenwasser fließt auf asphaltierten Straßen schnell ab und hat wenig Möglichkeiten zu versickern. Nicht nur deswegen kann die Artenzusammensetzung in Innenstadtbiotopen von der Zusammensetzung in Biotopen des ländlichen Raumes stark abweichen. In einem Mosaik aus unterschiedlichen Sekundärbiotopen, das heißt durch den Menschen geschaffener Lebensräume, können Städte erstaunlich hohe Artenzahlen erreichen. Dabei bieten sie nicht selten wertvolle Ausweichbiotope für Arten, deren ursprüngliche Lebensräume zunehmend schwinden. In einer europäischen Großstadt wie Berlin kann man bis zu 10.000 Arten finden und Experten prognostizieren, dass die Artenzahlen in Zukunft noch steigen werden. Der alte Stadt-Land-Konflikt wird dabei unter Bezug auf aktuelle Studien, die eine deutlich höhere Artenvielfalt für Stadtgebiete bescheinigen im Vergleich mit den von Monokulturen überprägten ländlichen Regionen von heute, zurückgewiesen.

Viele Tierarten verhalten sich in der Stadt anders, als in ihren natürlichen Lebensräumen. Bekanntermaßen ist es in einem städtischen Park sehr viel leichter die Distanzen zu Eichhörnchen, Kaninchen oder Rabenvögeln zu verringern als im ländlichen Gebiet, da sie ihre natürliche Scheu zum Teil ablegen. Studien zeigen, dass bei einigen Arten Stadtvögel schriller singen, um den Stadtlärm zu übertönen. Viele Arten besetzen in Städten weitaus kleinere Reviere, als sie in Wald, Feld und Flur nötig wäre. So sind für viele Tierarten die Populationsdichten in der Stadt daher deutlich höher als im ländlichen Gebiet. In der Stadt können zum Beispiel 5-10 mal mehr Füchse in einem Gebiet vergleichbarer Größe leben, als im Wald oder Offenland (in Berlin sollen es bis 1600 Fuchsreviere sein). Gründe dafür sind neben besserer Nahrungsverfügbarkeit und einer Vielzahl an Unterschlüpfen auch die fehlende oder stark eingeschränkte Bejagung.

Typen/Formen des Lebensraums
Stadtbiotope können sehr verschiedene Lebensräume umfassen. Vom baumbestandenen Stadtfriedhof als grünes und relativ wenig gestörtes Refugium für typische Waldarten bis zum hoch frequentierten Erholungspark, vom betonierten Innenstadtbereich zum bewusst gestalteten Garten. Auch Kellerräume oder sogar die Kanalisation bieten Lebensräum für bestimmte Arten. Besonders interessant können Ruderal- und Brachflächen sein, wie sie auf Gleisanlagen, an ungenutzten Grundstücken oder in Industriezonen vorkommen. Auch der Verstädterungsgrad ist entscheidend dafür, welche Arten sich in welchen Anzahlen ansiedeln.

Typische Arten des Lebensraums
Entgegen dem ersten Eindruck, ist die Artzusammensetzung in einer Stadt vielfältiger, je größer sie ist. Allein 150 Brutvogelarten kommen in der deutschen Haupstadt vor. Viele Säugetiere wie Rotfuchs, Igel, Steinmarder, Waschbär und Wildschwein profitieren von den Abfällen, die ihnen ein reichhaltiges Nahrungsangebot bieten. Während sie sich tagsüber zum Beispiel auf ungenutzte Grundstücke, Parks und Friedhöfe zurückziehen, streifen sie Nachts auf Nahrungssuche umher. Viele Höhlenbrüter und -raster wie Haussperling, Rotschwanz, Mauersegler oder Fledermäuse nutzen Gebäude oder angebotene Nisthilfen als Nest- und Ruheplatz. Insbesondere höhere Gebäude werden gerne von Turm- oder Wanderfalken als Neststandort auserkoren.
Aber auch abseits der altbekannten verdächtigen Kulturfolgern tummelt sich eine Vielzahl an Wildleben in der Stadt. So bieten zum Beispiel oft übersehene Randbereiche und Brachflächen nicht selten Lebensraum für teils gefährdete oder seltene Arten wie Bläulingsarten oder Wildbienen.

Auch die Pflanzenwelt ist in Städten reichhaltig vertreten. Bis über 1000 Arten, von denen jedoch nicht alle einheimisch sind, finden sich in Großstädten. Die nährstoffarmen Böden (zum Beispiel Asphalt oder Roherde) bei trockenen Verhältnissen und wenig Konkurrenz werden zum Beipsiel vom Schmalblättrigen Greiskraut (Senecio inaequidens) sehr geschätzt, eine Art, die ursprünglich aus Südafrika eingeschleppt wurde, aber wegen der extrem späten Blüte bei heimischen Insekten im Herbst und Winter sehr beliebt ist. Aber auch einheimische Arten kommen im Stadtgebiet vor. Insgesamt kommen Pflanzen, die trittresistent sind (Wegwarte (Cichorium intybus), Wegerich (Plantago), Gräser (Poaceae)), wenig Bodenfläche benötigen (Wilder Wein (Vitis vinifera), Hopfen (Humulus), Efeu (Hedera)) oder sehr viele Samen produzieren (Löwenzahn (Taraxacum)) mit den widrigen Bedingungen insbesondere im hochfrequentierten Innenstadtbereich oft am besten zurecht.

Gefährdung und Schutz
Die Stadt als Ökosystem ist nicht gefährdet, jedoch ist sie regelmäßigen Wandeln unterworfen, denen sich auch die Tier- und Pflanzenwelt anpassen muss. Moderne Bauweisen mit geschlossenen Fassaden haben einige typische Kulturfolger wie Mauersegler, Haussperling oder sogar die Stadttaube stellenweise stark dezimiert, da wichtige Brut- und Nistplätze verschwanden. Andererseits profitieren viele Arten heute vom Willen zum bewussten Naturerleben, welches nicht nur Stadtbegrünung aus Rekreationsgründen umfasst, sondern auch die gezielte Schaffung von Nist- und Ruheplätzen für Wildbienen, Singvögel, Igel oder Fledermäusen, welche oft auch andere Arten als die Zielarten unterstützen.


Beitragsersteller: Ajott (AGEID6829)
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