Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Balgengeräte, Zwischenringe, Nahlinsen etc.
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Guppy
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Guppy » 4. Jun 2018, 15:17

Hallo

Ein Artefakt in der Fotografie, ist ein durch die Technik (z.B. Optik) bedingter Abbildungsfehler, es sind Bilddetails, die sich vom Original unterscheiden.

In Wirklichkeit gibt es keine Schärfentiefe, denn alles besitzt bis ins Kleinste, klare Grenzen seiner Ausdehnung. In der Natur ist grundsätzlich alles scharf.

Schärfentiefe ist ein Artefakt, der bei der Bildentstehung durch Linsen entsteht.

Die Schärfe im fotografischen Bild, das durch Linsen entsteht, ist sowohl in der X- wie in der Y-Achse vorhanden, besitzt jedoch durch den Bildrand eine begrenzte Ausdehnung.
Die Schärfe in der dritten Dimension, die Z-Achse, ist jedoch auf eine sehr enge Tiefenebene begrenzt.
Alles was sich vor oder hinter dieser Ebene befindet wird mangelhaft (unnatürlich) abgebildet, es befindet sich in der durch Linsen bedingten Unschärfe.
Das Unvermögen (Artefakt) einer Linse, nicht alle Ebenen der Tiefe in voller Auflösung abbilden zu können, nennt man Schärfeverlauf.
Dieser besteht zur Hauptsache aus Unschärfe und könnte somit eher als Unschärfeverlauf bezeichnet werden.
Da das Ziel der Bildentstehung durch Linsen, sich auf die Schärfe konzentriert, nennt man es Schärfeverlauf.

Da unser Auge ebenfalls eine Linse besitzt, ist unser natürliches Sehen von den Abbildungsfehlern (Aberrationen) dieser Linse betroffen,
zusätzlich kommt beim Auge eine weit verbreitete "Fehlsichtigkeit" dazu.
Ebenfalls unterscheidet sich die Netzhaut "Sensor" des Auges sehr stark von einem Bildsensor in einer Kamera.
Würde eine Kamera so abbilden wie unser Auge, würden wir sie als sehr mangelhaft bezeichnen.

Mit natürlicher menschlicher Sichtweise hat ein fotografisches Bild nur bedingt zu tun, dies auch deshalb, weil unser Auge stetig in Bewegung ist!
Das Auge kann nur in einem sehr kleinen Winkel scharf sehen, es ist der Bereich der Fovea centralis, die viele eng gepackte, nur farbempfindliche Zapfen enthält.
Beträgt die Sehschärfe bei 0° also geradeaus, 100%, so beträgt sie bei einem seitlichen Winkel von -10° oder +10° nur noch etwa 20%.
Zur Peripherie nimmt die Dichte der Zapfen sehr schnell ab und die nur helligkeitsempfindlichen Stäbchen nehmen zu.
Würde man nach diesem Muster einen Fotosensor herstellen, würde man ihn als sehr mangelhaft bezeichnen.

Ein natürliches Objekt ist dreidimensional, das fotografische Bild kann zwei der drei Dimensionen in einem durch Bildrand begrenzen Bereich innert einem kurzen Moment festhalten.
Der Fotografie fehlt somit eine von drei Dimensionen. Dies ist in einem fotografischen Bild ersichtlich, da die unendliche dritte Dimension nur in einer Ebene (Schärfenebene) wiedergegeben wird.
Sowohl beim Filmen wie bei der Betrachtung von Auge, kann der Focus verändert werden, dadurch kann in zeitlicher Abfolge ein Überblick in der dritten Dimension vermittelt werden.

Die dritte Dimension wird bei einer Abbildung durch Linsen, in ihrer Tiefe, mit sich stetig ändernder Auflösung (Unschärfe) dargestellt.
Bedingt durch das auflösungsbegrenzte Vermögen des Auges mit seiner Linse, wie auch eines Objektivs mit Fotosensor,
wird ein Bereich der sich ändernden Auflösung, als Scharf empfunden und als Schärfentiefe bezeichnet.

Die Beurteilung eines fotografischen Bildes mit dem Verlauf der Schärfe/Unschärfe, ist geprägt durch die Akzeptanz des über Jahrhunderte nicht vermeidbaren Artefakt, die Schärfentiefe.

Da die Entwicklung der Fotografie ihren Lauf nimmt, wurde auch die Beseitigung dieses Artefaktes angestrebt.
Focus Stacking ist eine Technik die diesen Artefakt (Abbildungsfehler) behebt, dies jedoch nicht auf Optischer Seite der Bildentstehung,
sondern durch Verschmelzung der Schärfeebenen mehrerer Bilder in einem resultierenden Bild, die zu unterschiedlicher Zeit mit unterschiedlicher Schärfenebene entstanden.

Focus Stacking mindert oder behebt somit nahezu einen akzeptierten und gewohnten Artefakt.

Die klassische Fotografie erübrigt sich somit nicht, denn der gewohnte Umgang im Bild mit dem Schärfeverlauf, hat seine Berechtigung und Reiz.
Berechtigung auch deshalb, weil es dem Fotografen ermöglicht, den Bildbetrachter damit,
auf eine von ihm bestimmte Stelle im Bild zu leiten, aufmerksam zu machen, was der Betrachter bevorzugt beachten soll.

Focus Stacking fügt dem Bild nichts Unnatürliches hinzu, sondern entfernt den durch Linsen entstandene Artefakt der Unschärfe!
Focus Stacking kann in einem Bereich eines hohen Abbildungsmassstabes, der optisch über eine nicht viel aussagend,
geringe Schärfentiefe verfügt erfolgreich angewendet werden, so dass ein Bereich oder das ganze Objekt im Bild optimal erkannt wird.
Ebenfalls kann bei Verwendung von Focus Stacking ein Setup mit seiner optimalsten Abbildungsleistung zur Wirkung kommen.
Focus Stacking dient somit nicht nur der Erweiterung der Schärfentiefe, sondern ebenfalls dem Erhalt der besten Bildqualität, die mit dem gewählten Setup möglich ist.

Es ist jedem Fotografen frei gestellt, sich mit dem gewohnten, geliebten und kreativ einsetzbaren Schärfeverlauf auseinander zu setzen.
Es ist aber absolut fehl am Platz, diesen Schärfeverlauf ernsthaft als natürlich schönzureden
und eine durchgehende Schärfe in der Tiefe, durch Focus Stacking, als unnatürlich zu bezeichnen und zu verurteilen.

Kurt
Zuletzt geändert von Guppy am 4. Jun 2018, 17:04, insgesamt 3-mal geändert.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon klaus57 » 4. Jun 2018, 15:59

He Kurt,
das ist mal eine tolle Erklärung...ist nicht unwichtig das zu wissen...jetzt bin ich
ein ganzes Stück schlauer geworden und dafür danke ich dir...dein Kommentar
wird sicher einige Leute verwundern und das ganze Thema in ein anderes Licht
rücken...ganz super erklärt!
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon ji-em » 5. Jun 2018, 20:05

Hoi Kurt,
Danke für deine klare Ausführungen.
Das müsste eigentlich jeder davon überzeugen, dass Fokus-Stacking nur ein weiteres Werkzeug in die Hände vom Fotograf ist, womit er gewisse Bilder realisieren kann, die nicht als Einzelbild realisierbar sind.
Zu den von dir schon erwähnte Vorteile will ich noch folgender erwähnen:
Bei schlechte Lichtverhältnisse kann man oft mit Einzelbilder die gewünschte Schärfetiefe nicht mehr erreichen. Mit Fokusstacking aber schon weil die Blende weit geöffnet werden und der Verschlusszeit verringert werden kann.

Gruss, Jean
Vergleichen macht vieles klar ... ! :-)
Mein Kommentar wiederspiegelt nur meine momentane, bescheidene, persönliche Meinung.
Bitte, auf kein Fall, persönlich auffassen auch wenn ich mich irreführend mitgeteilt habe.
Ich lese lieber 2-3 aufrichtige, negative Kommentare ... als gar keine ! :-)
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Enrico » 5. Jun 2018, 20:23

Hallo Kurt,

das ist aber eine feine Erklärung !
Viele Dank dafür.
Das könnte auch so in einem Lehrbuch stehen.
Könnte ich mir so als Signatur einbauen ! :mosking:
LG Enrico
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon hawisa » 5. Jun 2018, 20:34

Hallo Kurt,

danke für die Erklärung.

So zeigst du ausführlich auf, dass beide fotografische verfahren ihre Berechtigung haben. :DH: :DH: :DH: :DH: :DH:
Liebe Grüße und immer "Gut Licht"
Willi

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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon derflo » 5. Jun 2018, 21:30

Hallo Kurt,

wie immer habe ich Deine Ausführungen, die Physik für den
geneigten Ahnungsbefreiten greifbar machen, mit sehr großem
Interesse gelesen.
Danke, dass Du Dir hin und wieder die Zeit nimmst uns "aufzuschlauen".

Auch in Zukunft werde ich mit großem Interesse jeden Beitrag betrachten
der Deinen Namen trägt.

lg
Flo
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Ich auf flickr: http://www.flickr.com/photos/maldiesmaldas
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon komet » 8. Jun 2018, 13:34

Hallo Kurt,

ich kenne Artefakte nur vom übertriebenen Schärfen und vom Stacken. Daß die Schärfentiefe ein Artefakt ist, habe ich noch in keinem Fachbuch gelesen.
Ich nehme an, daß ist Deine eigene Definition?

Gruß, Martin
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Werner Buschmann » 8. Jun 2018, 20:20

Hallo Martin,

Du kennst Dich in der Fotografie gut aus, also gehe ich davon aus,
dass Du den Sinn der Aussage von Kurt nachvollzogen hast.

Schärfentiefe ist eine von einem optischen System erzeugte
Abbildungseigenschaft die nicht identisch ist mit der räumlichen Existenz des
abgebildeten Gegtenstandes.

Insofern existiert sie nicht unabhängig vom optischen System.
Man kann jetzt durchaus sagen, sie ist vom Menschern künstlich erzeugt,
insofern ein Artefakt, ein durch Handwerk künstlich erzeugtes Phänomen.

So habe ich zumindest Kurt verstanden.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Guppy » 8. Jun 2018, 20:32

Hallo Martin
"Ein Artefakt in der Fotografie, ist ein durch die Technik (z.B. Optik) bedingter Abbildungsfehler, es sind Bilddetails, die sich vom Original unterscheiden."
Ich habe den Begriff "Artefakt" nicht definiert, sondern nur die Definition zitiert!
Ich habe beschrieben, dass durch eine Linse (Objektiv) ein Schärfeverlauf entsteht, der im Original (Natur) nicht vorhanden ist.

"Daß die Schärfentiefe ein Artefakt ist, habe ich noch in keinem Fachbuch gelesen."
Das ist absolut möglich, ich zitiere ja kein Buch.
Ich kenne allerdings eine Quelle im Internet, da steht es so:
viewtopic.php?p=15382165#p15382165
:)
Ich finde meinen Gedankengang als überlegenswert,
vor allem für die Gegner des Focus Stacking.

Kurt
Zuletzt geändert von Guppy am 8. Jun 2018, 20:37, insgesamt 3-mal geändert.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon komet » 8. Jun 2018, 20:36

Hallo Werner,

ich habe den Artikel von Kurt tatsächlich x mal gelesen, weil ich wissen wollte, wie es gemeint ist, bzw. woher die Theorie kommt.
Für mich persönlich ist die Schärfentiefe, die eigentlich keine echte Schärfe darstellt, ein wichtiges Gestaltungsmittel, das ich feinfühlig steuern kann. Ich hätte sie nie als Artefakt gesehen, weil mich das Wort an mehr oder weniger häßliche Gebilde erinnert.

Gruß, Martin

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