Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
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Sven A.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

Vorwort
Diese Doku war eigentlich schon im letzten September so gut wie fertig, dann waren andere Dinge wichtiger, ich verlor sie aus dem Fokus.
Und manchmal kommt es eben wie es kommen muss, wenn man etwas auf die lange Bank schiebt.
In diesem Fall ging mir die Festplatte kaputt und mein letztes Backup beinhaltete natürlich nicht meine 15 bis 20 seitige Ausarbeitung (inkl. Bilder).
Mein Pech und zum Glück für Euch :DD

Diese neue Version ist wesentlich kürzer geworden, nicht so ausschweifend und hoffentlich noch erträglich für Euch ;-)
Man kann ja auch direkt zur Ostkanareneidechse springen.
Wer tiefer einsteigen möchte, kann den Verlinkungen folgen, welche meist auf Artikel in Wikipedia führen.
Die ebenfalls verlinkten Studien sind teils auf Englisch aber die deutschen Artikel sind für jeden gut lesbar und auch lesenswert.
Bevor ich euch die Ostkanareneidechse von Lanzarote vorstelle, möchte ich ein wenig über die gesamte Gattung Gallotia berichten
und etwas über die Besiedlung der Kanaren durch Eidechsen vom Festland aus und die Entstehung endemischer Arten informieren.
Wer bis zum Schluss durchhält, für den habe ich eine Überraschung parat.
Eine möglicherweise einzigartige Beobachtung, auch teils in Bildern dokumentiert :-)

Bedeutung, Entstehung und Besiedlung der Kanaren

Diese Inselgruppe ist vulkanischen Ursprungs und hatte niemals „Kontakt“ zum Festland, weder dem europäischen noch zum nähergelegenen Afrika.
Hier findet ihr eine Übersichtskarte der Inselgruppe

Die Kanaren werden nicht umsonst als das Galapagos vor der Haustür Europas bezeichnet.
Dies erschließt sich dem Laien erst auf den zweiten oder gar dritten Blick, denn die endemischen Arten auf Galapagos erscheinen uns spektakulärer und exotischer.
Auf dem Archipel Archipel der Kanaren gibt es ca. 2000 Pflanzenarten, von denen immerhin 517 endemisch sind, also nur dort vorkommen.
Immerhin sind 57% dieser Endemiten nur auf einer der 13 Inseln beheimatet!

Bei den Pflanzen dürfte die Kanarische Kiefer am bekanntesten sein, welche mit ihrer dicken Borke
selbst heftigen Waldbränden stand hält ( ist dort keine Seltenheit) und nach einem solchen Brand direkt am Stamm wieder austreibt.

Der herausragende endemische Vertreter in der Tierwelt der Kanaren ist sicher der Kanarienvogel.
Natürlich gibt es dort etliche weitere endemische Vogel-, Säugetier- und Reptilienarten wie auch endemische Insektenarten.
Erst 1985 wurde auf Fuerteventura die Kanaren-Spitzmaus entdeckt.

Bei meinem Besuch der Insel Lanzarote, galt schon wie im letzten Jahr auf Gran Canaria, meine Aufmerksamkeit der Gattung Gallotia, der Kanareneidechse.
Der Vollständigkeit halber verweise ich auf die Vorstellung von Gallotia stehlini (auf Gran Canaria) in einer älteren kurzen Doku:
Der Goliath unter den Eidechsen

Besiedlung der Kanaren durch Pflanzen und Eidechsen, sowie die Entwicklung neuer Arten

Da Samen sich leicht über das Meer und den Wind verbreiten, verwunderte es einerseits nicht, dass die kanarische Vegetation
sich in enger Verwandtschaft zu mediterranen und nordafrikanischen Flora befindet. Andererseits wundert man sich,
dass endemische Arten nur auf einer einzelnen Insel vorkommen und diese sich nicht auf der ganzen Inselgruppe verbreiteten.
Wenn man sich mit dem dort vorherrschenden Nord-Ost-Passatwind und dem url=https://de.wikipedia.org/wiki/Kanarenstrom]Kanarenstrom[/url] beschäftigt,
bekommt man eine Ahnung davon, dass z.B. Samen nicht von La Gomera (Westkanaren) zu den Ostkanaren verwehen oder schwimmen können,
sondern in südliche Richtungen auf das offene Meer getrieben werden. Bestenfalls kann der heiße Calima aus der Sahara für eine Verbreitung von Ost nach Westen sorgen.
Diese Wind- und Wasserströmungen haben sich vermutlich seit Jahrmillionen kaum geändert.

Das Eidechsen nicht selbständig schwimmend oder gar fliegend die Kanaren erreichten, leuchtet jedem ein,
wobei ich mir bezüglich des Fliegens nicht mehr so ganz sicher bin ;-) (Mehr dazu am Ende der Doku).
Die Vorstellung, dass Eidechsen auf Treibgut zu den Kanaren gelangten, ist da schon naheliegender.
Interessanterweise geht man heute davon aus, dass die Besiedlung durch Eidechsen vom europäischen Festland erfolgte
(min. 1.000 km Luftlinie entfernt) und nicht vom nahe gelegenen Afrika (Minimum 100 km Entfernung)

Die Ostinseln, also Lanzarote und Fuerteventura sind vor etwa 35 Mio. Jahren Vulkanen entstanden und wurden
erstmals vor rund 33 Mio. Jahren durch Eidechsen besiedelt. Dies konnte anhand immunologischer Daten ermittelt werden
und korreliert mit den geologischen Daten. Bedingt durch die bereits erwähnten Strömungen von Wind und Wasser,
ist eine Besiedlung von Südwest-Europa wahrscheinlich. Im weiteren Verlauf der Zeit, entstanden in westlicher Richtung neue Inseln,
welche wiederum von den älteren östlichen Inseln durch Gallotia besiedelt wurden und es entwickelten sich eigene isolierte Eidechsenarten.
Es gibt auffällige Übereinstimmungen zwischen den errechneten Isolationszeiten der einzelnen Arten, zum jeweiligen Alter der Inseln.
Wer mehr darüber erfahren möchte, empfehle ich folgendes, auch für Laien noch gut lesbares Dokument:
Theorie zur Evolution der Eidechsen der Gattung Gallotia (Reptilia : Lacertidae) anhand albumin-immunologischer Analysen und geologischer Daten zur Entstehungsgeschichte des Kanarischen Archipels

Weitere Literatur zur Evolution der Kanaren-Eidechsen:
Adaptation and evolution in Gallotia lizards from the Canary Islands: age, growth, maturity and longevity
Entdeckung, Verschwinden und Wiederfunde der sagenhaften Rieseneidechsen auf den Kanarischen Inseln
Phylogenetic Relationships of the Canary Islands Endemic Lizard Genus Gallotia (Sauria: Lacertidae), Inferred from Mitochondrial DNA Sequences
Gallotia atlantica (Peters & Doria, 1882) - Atlantische Eidechse, Purpurarien-Eidechse
Evolution of biometric and life-history traits in lizards (Gallotia) from the Canary Islands

Um ein Vorschaubild zu haben, hier schon mal ein Exemplar von Gallotia atlantica
Dateianhänge
Vorschaubild
P7200215-120066-1200.JPG (419.44 KiB) 2180 mal betrachtet
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Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 13:19, insgesamt 14-mal geändert.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Auf den Inseln Lanzarote wie auch auf Fuerteventura, Lobos, La Graciosa, Alegranza und drei weiteren kleinen Eilanden,
ist die Ostkanareneidechse Gallotia atlantica beheimatet. Wie man bereits oben erahnen konnte, ist Gallotia atlantica die älteste Art auf den Kanaren.
Hier ein erstes Bild, der in ihrer Zeichnung und Färbung recht variablen Echsen.
Im Maximum wird diese Art bis zu 28,5cm lang und stellt damit die kleinste Art innerhalb der Gattung Gallotia dar.
Auffällig ist natürlich die bunte Zeichnung an den Flanken. Die leuchtend blauen Flecken lassen sie einzigartig erscheinen,
dabei variiert die Farbe von Blau über Türkis bis hin zu Grün. Sowohl die Größe als auch die Anzahl dieser Flecken kann stark variieren.
So soll es Tiere mit einem durchgehenden farbigen Band geben. Leider konnte ich solch ein Exemplar nicht finden.
Für uns als Laien wäre noch der deutlich breite und zugespitzte Kopf erwähnenswert, ganz anders als bei unseren einheimischen Arten.
Nur selten präsentieren sie sich so schön und frei und in dieser Pose.

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Im Vergleich zum folgenden Bild zeigt sich deutlich, wie unterschiedlich Gallotia atlantica gezeichnet sein kann.
Die Grundfärbung kann fast Schwarz sein, über Grau bis hin zu hellbraunen Echsen.
Dieses Tier erscheint recht „frisch“ was wohl der vorangegangenen Häutung zu verdanken ist.
Auch wenn hier der Schwanz in der Unschärfe liegt, erkennt man, dass die alte Haut noch nicht abgestreift wurde.
Bei den hellbraunen Echsen lassen sich auch besonders gut die hellen Längsstreifen auf dem Rücken erkennen.
Dieses Exemplar hat relativ kleine und türkisfarbene Flecken auf den Flanken. Fotogen sind sie allemal ;-)

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Neben den bereits gezeigten Grundfarben, hier eine braun-olivfarbene Ostkanareneidechse, welche nahezu perfekt mit dem Umfeld verschmilzt.

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P7200011-120066-1200.JPG


Der Grund für die vielen Farbvarianten von Gallotia atlantica ist darin begründet, dass die Landschaft selbst sehr bunt ist.
Vulkanisches Gestein und die ausgeworfene pyroklastische Asche gibt es in allen erdenklichen Farbtönen.
Die Eidechsen haben sich der Umgebung farblich angepasst, was der besseren Tarnung dient.
Vorherrschend Farben des Vulkangesteins sind Schwarz, Rot und Ocker

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Die Landschaft ist facettenreicher als sie aus der Entfernung scheint. Man muss sich in sie hinein begeben und erwandern,
um den Reiz und die Vielfalt zu entdecken und erfahren zu können. Vieles ist aus der Entfernung nicht sichtbar.
Es sieht oft öde aus aber dort angekommen, findet man auch im Hochsommer noch viel Blühendes.

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Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 01:22, insgesamt 4-mal geändert.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

Stellenweise sind die Felsen förmlich von Flechten überwuchert, genährt durch die Feuchtigkeit des Passatwindes.
Bei den noch recht jungen Lavafeldern wird deutlich, wie wichtig der Wassereintrag des Passatwindes für die Flora und Fauna ist.
Im Windschatten herrscht Hitze und Trockenheit und ein paar Meter weiter, ist alles mit Flechten bewachsen und bald siedeln auch anderen Pflanzen.

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Wuchernde Flechten und blühende Sukkulenten. Hier fühlt sich Gallotia atlantica wohl.

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Hier ein ausgewachsenes Exemplar (ca.25-30cm) in voller Pracht.

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In den windigen Höhenlagen kann es auch im Hochsommer frisch sein. Nicht nur ich fröstelte im T-Shirt,
auch die Echsen müssen ständig Sonne tanken, gerne im Windschatten der Felsen.
Dabei lassen sie sich ganz gut fotografieren. An anderen Stellen sind sie dagegen sehr scheu und schreckhaft.

P7141092-120066-1200.JPG (492.55 KiB) 2190 mal betrachtet
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In diesen Habitaten sind sie nur schwer zu entdecken, es sei denn, man scheucht sie auf.
Überall findet man blühende Pflanzen, auch wenn diese teils winzig sind.

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Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 00:42, insgesamt 2-mal geändert.
ᘿS ᒪᘿᗷᘿ ᕲᓰᘿ ᐺᓰᘿᒪᖴᗩᒪᖶ ᑘᘉᕲ ᕲᘿᖇ ᗩᒪᑘᕼᑘᖶ!
ᘿᖇᖽᐸᘿᘉᘉᖶ ᘻᗩᘉ ᓰᕼᘉ, ᓰSᖶ ᗩᒪᒪᘿS ᘜᑘᖶ :-)
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

An diesen unscheinbaren Blüten naschten sie wiederholt.
Ihre Nahrung besteht hauptsächlich pflanzlicher Kost.
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Hier mal ein hochnäsiges Portrait

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Zufluchtsmöglichkeiten gibt es in der felsigen Landschaft genügend.
Hier ein vorwiegend braunes Exemplar, mit wenig Zeichnung.

P7200059-120066-1200.JPG (388.5 KiB) 2187 mal betrachtet
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In der folgenden Bilderserie möchte ich über eine außergewöhnliche Beobachtung berichten,
welche sich ausschließlich auf noch junge bzw. kleine Eidechsen bezieht.
Ich konnte dieses Verhalten an zwei verschiedenen Tagen und zwei Exemplaren, nicht größer als 12cm, beobachten.
Somit ziehe ich voreilig den Schluss, dass dieses absonderliche Verhalten kein Zufall war.
Wir besuchten einen abgelegenen Bereich der nördlichen Hochebene, zwischen Las Nieves und Los Valles.
Dort steht im Nirgendwo eine kleine Kapelle, nur wenige Meter von einer sehr steilen Felswand.
wo es rund 500m in die Tiefe geht. Beeindruckend der Ausblick und keine Menschenseele weit und breit.

P7130911-120066-2-1200.JPG (391.05 KiB) 2187 mal betrachtet
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Der Passatwind wehte so heftig und böig, dass sogar das Fotografieren auf Knien schwierig war.
Besonders direkt am Abhang war es schwierig, das Objektiv ruhig zu halten.
Ich fand diese kleine Eidechse dösend auf der Windschattenseite eines Felsens.
Während ich mit dem Wind zu kämpfen hatte, genoss sie die Sonne und Windstille,
nahm nur kurz Notiz von mir, um dann wieder die Augen zu schließen.

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Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 01:22, insgesamt 4-mal geändert.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

Dank langer Brennweite von 300mm an MFT (vergleichbar mit 600mm an Vollformat) machte ich einige Bilder im gebührenden Abstand.
Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, die Echse zu stören. Nach einer Weile krabbelte sie den Felsen hinauf.
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Dort angekommen, scheinbar ziellos, führte sie ein Tänzchen auf und schwups, weg war sie.
Ja sie war einfach weg, nicht mehr zu finden, vom Erdboden verschwunden!?
Ich hatte so eine vage Ahnung, dass eine Windböe die Echse weggeweht haben könnte.

Erst zwei Tage später besuchte ich die Stelle erneut und fand wieder eine kleine Eidechse vor. Gleiches Spiel wie zuvor.
Dösen im Windschatten, dann auf den Felsen klettern, umherlaufen und auch sie verschwand plötzlich aus dem Sucher
aber ich war auf der Hut und konnte sie nur knapp einen halben Meter weiter rechts von mir wiederentdecken.

Bei Betrachtung meiner unscharfen Bilder bestätigte sich meine Vermutung, dass die Eidechse vom Wind fortgetragen wurde.
So Unwahrscheinlich mir das auch erschien, weckte es in mir den Forschergeist und ich wollte der Sache auf den Grund gehen.
Beharrlich kniete ich mit kurzen Hosen im scharfkantigen Schotter und versuchte die Vorgänge mit der Kamera zu dokumentieren.

Der gesamte Ablauf ist immer der gleiche. Auf dem Felsen angekommen, befinden sich die Echsen nicht mehr Windschatten.
Sie strecken zunächst die Nase in den Wind, richten sich also etwas auf. Dabei bleiben sie nicht still sitzen,
sondern vollführen scheinbar ein Tänzchen, laufen kurze Wege umher und strecken dabei immer wieder den Kopf hoch, so wie im folgenden Bild.
Die Bewegungsunschärfe am zeigt, dass sie diesen ruckartig anhebt.
P7181744-120066-1200.JPG (495.92 KiB) 2185 mal betrachtet
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Wenn der Augenblick günstig ist, stößt sich die Echse mit den Vorderbeinen ab und schiebt sich gegen den Wind.
Leider sehr unscharf.
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Im folgenden Bild ist das noch beeindruckender zu sehen und halbwegs scharf.
P7181726-120066-1200.JPG (360.63 KiB) 2185 mal betrachtet
P7181726-120066-1200.JPG


Im folgenden Bild ist noch mehr Dynamik sichtbar.
Es scheint, als hätte ich die vorherige Situation gleichzeitig von der Rückseite fotografiert, so ähnlich sehen sich die Bilder.
Mit den Hinterbeinen läuft die Echse weiter gegen den Wind, der Oberkörper richtet sich deutlich auf.
Dann erfolgt der Absprung, den ich so leider nicht dokumentieren konnte, möglicherweise reicht diese Pose aus, um weggeweht zu werden.
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Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 01:23, insgesamt 3-mal geändert.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Sven A. » 27. Apr 2019, 23:26

Nun müsste natürlich noch ein Flugbild folgen, was mir ebenfalls nicht gelang. Der Absprung erfolgt in Bruchteilen einer Sekunde.
Was hier wie eine komplette Sequenz aussieht, ist der klägliche Rest aus hunderten Fotos und stundenlanger Beobachtung und vielen Sprung-/Flugversuchen.

Fakt ist, dass ich Hopser von 30-50cm sah, einmal waren es gut 3m, die Echse kehrte wieder zurück zum Felsen,
obwohl ich direkt daneben stand und manchmal sah es nur nach ungelenk wirkenden Hüpfern aus.
In „Flugrichtung“ gab es nur ebenen feinen Vulkanschotter, so dass ich auf einer Strecke von sicher 20m, eine Echse leicht hätte wiederfinden müssen.
Das erste Exemplar fand ich nicht wieder, obwohl ich im Umkreis von mehreren Metern suchte.
Selbst eine kleine laufende Eidechse hätte ich dort noch aus 10m Meter Entfernung sehen müssen.

Ich ärgere mich, dass ich das nicht filmen konnte. Als mir die Idee dazu kam und ich zum Auto lief,
um das Objektiv zu wechseln (weitwinkliger), in der Hoffnung einen größeren Hüpfer festhalten zu können,
musste ich bei meiner Rückkehr feststellen, dass auch diese Echse verschwunden war und sie blieb es.

Natürlich wirft so eine Beobachtung jede Menge Fragen auf. Warum machen sie das? Laufen sie nicht Gefahr,
sich dabei schwer zu verletzen und wenn ja, dann muss dahinter eine starke Motivation stecken.
Flucht vor Fressfeinden kann hier die Motivation sein. Es gibt dort Falken, welche sich gerne oder hauptsächlich von Eidechsen ernähren.
Jedoch ist das Verschwinden zwischen Büschen und Felsen nicht nur schneller sondern auch ungefährlicher.
In den nächstgelegenen Spalt zu huschen funktioniert immer, das „Fliegen“, wenn man es denn so bezeichnen möchte,
klappt nur selten und meist nur für sehr kurze Distanzen.

Da bei dem heftigen und böigen Wind keine Fliegen flogen, kann ich das Schnappen danach recht sicher ausschließen.
Die Überlegung, dass sie dies tun, um größere Distanzen zu überwinden, aufgrund Futtermangels oder hoher Populationsdichte,
ist sicher sehr gewagt aber völlig ausschließen will ich es auch nicht.

Wir trauen den kleinen Echsen kognitiv nicht sehr viel zu, weil wir zu sehr auf die Hirngröße fixiert sind.
Dabei haben sie eine viel längere Evolutionsgeschichte als wir. Wer sie an von Touristen stark frequentierten Aussichtspunkten beobachtet,
stellt fest, dass sie ganz sicher einen Rucksack erkennen, diesen verfolgen, weil sie genau wissen, dass es da leicht verfügbares Futter gibt.
Beim Klang einer knisternden Kekstüte verlieren sie schnell jegliche Scheu und erklimmen schon mal ein Hosenbein. :lol:
Sie sind lern- und anpassungsfähig. Warum sollten sie also nicht in der Lage sein, den Wind für sich zu nutzen?
Wenn es sich um eine lokale Verhaltensadaption handelt, müsste man dieser auf den Grund gehen.
Sollte es sich nur um ein spielerisches Verhalten, noch junger und ungestümer Eidechsen handeln,
dann war es zumindest eine hochinteressante Beobachtung mit ein paar ungewöhnlichen Bildern :-)

So bleibt mir nur zu hoffen, dass ich oder ein anderer, dieses Geheimnis eines Tages lüften kann.

Es ist doch schön, dass es immer noch Neues und Unbekanntes zu entdecken gibt, direkt vor der Haustüre Europas, unsere kleines Galapagos.

Zum Abschluss noch eine besonders vorwitzig erscheinenden Eidechse :-)
P7200121-120066-1200.JPG (415.05 KiB) 2182 mal betrachtet
P7200121-120066-1200.JPG


Viele Grüße
Sven

PS: Alle Fotos von Gallotia atlantica wurden mit der OMD-EM5II geschossen und dem Billig-Tele Panasonic 100-300 4,0-5,6 meist am "langen Ende" also bei 300mm.
Teilweise kam ein Zwischenring zum Einsatz. Für Habitatfotos kam noch das Kit-Objektiv zum Einsatz.
Zuletzt geändert von Sven A. am 28. Apr 2019, 01:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Corela » 28. Apr 2019, 08:34

Hallo Sven,

da ist sie ja endlich, die lang erwartete Dokumentation.
Und es hat sich wirklich gelohnt.
Du zeigst hier eine richtig gute Arbeit sowohl in Wort als auch in Bildern.
Die Fragen, die du aufgeworfen hast, sind wirklcih interessant.
Ich habe auch den Eindruck, dass viele Tiere eine Gesichtserkennung haben,
bei den Fröschen sogar die Stimme.
Vielen Dank.
lG
Conny


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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon ji-em » 28. Apr 2019, 09:17

HOi Sven,

Fantastisch ... !
Eine Art von Fotografie die mich sehr anspricht ... lehrreich, bereichernd, ästhetisch ...
Sehr gut beobachtet, geduldig fotografiert ...
Wäre gerne dabei gewesen ...

Werde ich mich noch einige Male anschauen. Gewiss !

Hab viel, viel Dank !

Lieber Gruss,
Jean
Vergleichen macht vieles klar ... ! :-)
Mein Kommentar wiederspiegelt nur meine momentane, bescheidene, persönliche Meinung.
Bitte, auf kein Fall, persönlich auffassen auch wenn ich mich irreführend mitgeteilt habe.
Ich lese lieber 2-3 aufrichtige, negative Kommentare ... als gar keine ! :-)
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon Gabi Buschmann » 28. Apr 2019, 13:28

Hallo, Sven,

eine Wahnsinns-Doku, umfassend, spannend und sehr gut mit tollen
Fotos ausgestattet.
Deine Beobachtungen der "fliegenden" Eidechsen sind eine kleine
Sensation, finde ich. Die Bilder dazu sind sehr aussagekräftig,
toll, dass du das so gut einfangen konntest. Man kann sich richtig
gut vorstellen, wie sie aus der fotografierten Pose heraus gleich
danach abheben :-) . Vielleicht bekommen wir ja irgendwann mal
eine Antwort auf die Frage, warum sie das machen. Vielleicht haben
sie ja wirklich nur Spaß am Fliegen :lol: .
Vielen Dank und großes Kompliment für diese tolle Dokumentation!!!
Liebe Grüße Gabi
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Die Ostkanareneidechse (Gallotia atlantica)

Beitragvon piper » 28. Apr 2019, 16:22

Hallo Sven,

Chapeau!!
Das ist eine unheimlich spannende Doku und dazu
ausgezeichnet bebildert.
Zum Glück hast Du Dich nach dem Crash nochmal aufgerafft,
sie neu zu erstellen. Deinen Ärger kann ich sehr gut nachvollziehen.
Ganz herzlichen Dank für Deine Mühe und für den lese und Sehgenuss :DH: :DH:
Liebe Grüße Ute

Die Freude am Kleinen ist die schwierigste Freude, denn es gehört ein großes Herz dazu.
Rainer Maria Rilke

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