winterhafter Winterhaft

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
Ajott
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winterhafter Winterhaft

Beitragvon Ajott » 29. Mär 2013, 14:00

Hallo zusammen,

alles Meckern und Motzen hilft ja doch nicht, also ist es besser, sich mit den Umständen zu arrangieren und raus in den Schnee spielem zu gehen. Das habe ich am Mittwoch getan, und schaut mal, wer sich da zum Spielen zu mir und den Springschwänzen gesellte. Ich denke, dieses Tier wurde hier im Forum scheinbar erst einmal gezeigt, so dass eine kleine Doku dazu sicher ganz interessant ist.

Der Winterhaft, auch Gletscher- oder Schneefloh genannt, ist mit 3-4mm ziemlich klein. So erkannte ich erst auf dem Kameradisplay, was ich da eigentlich vor der Linse hatte. Eine entfernte Verwandtschaft zu den hier im Forum doch recht beliebten Skorpionsfliegen lässt sich kaum leugnen. Und so gehören sie zusammen mit diesen in die Ordnung der Schnabelfliegen, bilden innerhalb dieser aber eine eigene Familie. In Mitteleuropa kommen zwei Arten vor, weltweit sind 12 Arten bekannt.

Auffällig ist wie bei den Skorpionsfliegen die schnabelartig ausgezogene Kopfregion. Winterhafte besitzen keine Flügel. Bei den Weibchen sind sie komplett reduziert, die Männchen hingegen haben sichelförmige Haken zurückbehalten, die eine wichtige Rolle bei der Paarung spielen. Mit diesen abgewandelten Flügelstummeln hält das Männchen sein Weibchen an den Vorderbeinen fest. Interessanterweise ist es bei dieser Art daher so, dass im Gegensatz zu vielen anderen Insekten das Männchen das Weibchen auf dem Rücken trägt. (das wurde in dem anderen Beitrag hier im Forum gezeigt: Schneefloh-Paarung)

Die Eier werden dann einzeln in den Boden gelegt. Im Frühjahr schlüpfen die Larven und benötigen bei Boreus westwoodi zwei Jahre, bis aus ihnen das Vollinsekt entsteht. Die Larven können Spinnseide herstellen, die sie zur Konstruktion einer Puppenkammer im Boden nutzen.

Der Name Schnee- oder Gletscherfloh beschreibt nicht nur die Vorliebe für die kalte Jahrezeit, in der sie auch auf Eis und Schnee gefunden werden, sondern auch die Fähigkeit, sich mit den langen Hinterbeinen bis zu 30cm wegzukatapultieren, wenn Gefahr droht. Anschließend stellen sie sich tot, um ihren Feinden zu entkommen.
Winterhafte treten etwa von Oktober bis Ende März als erwachsene Tiere in Erscheinung. Sie leben gerne in Moosen, suchen aber auch auf der Schneedecke nach Nahrung wie toten Insekten oder Pflanzenmaterial. Die Verdauung erfolgt wie bei Spinnen extraintestinal, also außerhalb des Körpers. Dafür speicheln sie die Beute ein und saugen sie dann im gelösten Zustand über den Schnabel auf.

Angeblich ist der Gletscherfloh europaweit in Gärten, Parks, Mischwäldern und auch auf Wiesen regelmäßig anzutreffen. Allerdings entgeht er durch seine winterliche, verstecke Lebensweise und geringe Größe wohl häufig der allgemeinen Aufmerksamkeit.

liebe Grüße
Aj

PS: Über die Bildqualität müssen wir freilich nicht diskutieren. Zu den im meinem Wintermückenbild angesprochenen Belichtungsschwierigkeiten kam noch die Agilität und Kleinheit des Motivs, die mein Objektiv an die Maximalgrenze führte und trotzdem noch einen großzügigen Beschnitt erforderte.

EDIT: Dank Thorsten wissen wir nun, dass die Weibchen der beiden hier lebenden Winterhaftarten nicht ohne weiteres zu unterscheiden sind. Hier wird also Boreus spec. gezeigt ;-)
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der erste Blick auf dieses Wesen enthüllt noch nicht so recht, was das sein sollte.. aber es war sehr agil, wuselte unablässig auf dem Schnee herum und gewährte mir bald noch andere Ansichten
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hier ist es schon besser zu erkennen. Der "Stachel" am Hinterleib weißt das Tier als Weibchen aus. Es handelt sich hierbei um die Legeröhre, mit der die Eier im Boden versenkt werden. Man erkennt auch die beiden kleinen Schüppchen am Rücken, die von den Flügeln überig geblieben sind.
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Der Blick ins Gesicht zeigt die lang ausgezogene Mundregion, die nur die Aufnahme von flüssigem Material erlaubt.
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Der Körper glänz von oben betrachtet metallisch.
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Zuletzt geändert von Ajott am 1. Apr 2013, 10:17, insgesamt 2-mal geändert.
Wer an allem zweifelt sollte darauf achten, dass gesunde Skepsis nicht bald zur blinden Paranoia wird.
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Beitragvon Gabriele » 29. Mär 2013, 16:49

Hallo Anja,

ich bin begeistert. Was für eine tolle Doku und mit
so guten Bildern. Dieses Tierchen habe ich noch nie
vorher gesehen. Das motiviert mich selbst mal wieder
raus zu gehen und nach solchen Tieren zu suchen.

Danke schön :)

LG Gabriele
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Beitragvon eRPe » 29. Mär 2013, 17:16

Hallo Anja,

klasse Doku und auch sehr gute Bilder,
der hat etwas von einer Skopionsfliege,
nur ohne Flügel dafür auf Skiern.

Gruß
Reiner
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Beitragvon basilisk » 29. Mär 2013, 17:16

Hallo AJ,

na das ist doch mal ein Tier, daß die Stimmung deutlich aufheitern kann. Ein wirklich schöner Fund und als Doku alemal gut fotografiert. Bei dem Dynamikbereich ist das knipsen ja nu wirklich nicht ganz leicht.

Meinen Glückwunsch zu diesem Fund!

Gruß
Basi
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Beitragvon wolfram schurig » 30. Mär 2013, 16:32

Hi Anja!

Yippiehyayeahhh! Dem würde ich auh schon längst mal gern begenen, aber leider niet - das letzte Mal vor 30 Jahren auf der Schulschiwoche...

Vielen Dank für die seltenen Bilder und die lehrreichen Infos, da ist einiges neu für mich!

LGr

Wolfram
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Beitragvon Segin » 30. Mär 2013, 18:42

Hallo Anja,

tolle Doku mit interessanten Aufnahmen und einem sehr informativen Text.
Vielen Dank.

Gruss Urs
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Beitragvon Otto G. » 30. Mär 2013, 19:35

Hallo Anja

deine Augen möchte ich gerne haben,seufz!!

Das Tier werde ich nie live sehen :-),so erfreue ich mich an deinen Bildern und dem sehr informativen Text dazu,gefällt mir sehr gut.

Gruss
Otto
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Beitragvon Thorsten » 31. Mär 2013, 17:10

Hallo Anja,

klasse Fund und schöne Doku!

Da in der AG ja immer noch ein "Wanted" prangert, würde ich ein/zwei dieser Bilder und Deinen Text dort einbauen, so Du einen Link ins AP stellen magst. Bitte noch die Daten dabei nachliefern. Über die Art mach Dir keinen 'Kopp' - m.W. kann man die Weibchen der beiden Arten nicht unterscheiden.

Grüße, Thorsten
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Beitragvon dlapinsky » 31. Mär 2013, 18:03

Servus Anja,
na da zieh ich meinen virtuellen Hut.
Ein großartige Doku!
Vielen Dank dafür!
Liebe Grüße
Reinhard

Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel. - Konfuzius
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Beitragvon grinsekatze » 1. Apr 2013, 17:04

Hallo Anja,

so ein Tierchen ist mir auch noch nie über den Weg gelaufen bzw. gehüpft. Toll, dass du es gesehen und auch noch so gut fotografiert hast! Danke für die interessante Doku, habe ich sehr gern angeschaut :)
Viele Grüße
Winnie

Vielen Dank für jeden Rat und Hilfe :-)

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