Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Balgengeräte, Zwischenringe, Nahlinsen etc.
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Frank Ingermann
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Frank Ingermann » 9. Jun 2018, 01:41

Hallo zusammen,
insbes. Kurt und Martin,

den Begriff "Artefakt" muss man mMn im Kontext sehen. Er ist auch (mMn) an sich nicht negativ belegt.

(in der Software-Entwicklung werden die fertigen Programme oft als "Artefakte" bezeichnet, ohne die
wäre ich also schnell arbeitslos ;) - allgemein "von Menschen erzeugte Gegenstände" laut Wiki) *

Kurt's Aussagen kann ich gut nachvollziehen. Als Mensch ist man daran gewöhnt:
"Da, wo ich gerade hinsehe, ist's immer scharf" (weil das Auge dann dahin fokussiert, und schnell
und unmerklich auf die jew. Entfernung scharf stellt).

Ich komme ja aus der Landschaftsfotografie, da ist Unschärfe klassischerweise verpönt:
die ganze Szenerie von VG bis HG versucht man da möglichst scharf abzubilden, und
viele Landschaftsfotografen nutzen dazu schon lange "Mini-Stacks" aus 2/3/4 Aufnahmen,
wenn sich das mit einer einzelnen Aufnahme nicht bewerkstelligen lässt - wegen Linsen+Sensor-Kombi.

Darum reizt mich in der MF das Spiel mit dem Verlauf zwischen Schärfe und Unschärfe besonders:
Hier ist Unschärfe erlaubt. Manchmal sogar "gefordert", nennt sich dann "Freistellung". ;)

* Hängt euch also nicht an dem Begriff "Artefakt" auf, sonst gibt's demnächst keine neue
Software mehr :DD

lg, Frank

P.S.: als ich den ersten 3D-Film im Kino sah, wurde mir nach 5 Min. schlecht.
Mein Auge war daran gewöhnt, jeden Punkt in der Szene anzusehen und "scharfzustellen" -
geht aber technisch nicht. Die "SE" wird da vom Film/Regisseur/... vorgegeben.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon ji-em » 9. Jun 2018, 06:46

Hallo Kurt, hallo zusammen,

Ich finde die trockene Erklärung von Kurt einfach GENIAL !

Wer sie noch ein bisschen vertieft, versteht plötzlich sehr viel, was die Fotografie angeht
und kommt auch auf ganz neue fotografische ideen !

Sich auf Kurt's Erklärungen ein zu lassen, braucht aber den Mut, etwas los zu lassen ...
Aber Menschen ... wie gut das tut !

Bin dafür, diese Erklärungen oben in die Liste Threads fest zu pinnen !

Wünsche Euch ein schönes Wochenende.


Jean
Vergleichen macht vieles klar ... ! :-)
Mein Kommentar wiederspiegelt nur meine momentane, bescheidene, persönliche Meinung.
Bitte, auf kein Fall, persönlich auffassen auch wenn ich mich irreführend mitgeteilt habe.
Ich lese lieber 2-3 aufrichtige, negative Kommentare ... als gar keine ! :-)
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon segeiko » 9. Jun 2018, 09:31

Hallo Kurt,

vielen Dank für Deinen interessanten und aufschlussreichen Beitrag.

Dadurch erschliesst sich mir die Fotografie wieder ein Stückchen mehr.

Liebe Gruess
Beatrice
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Guppy
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Guppy » 9. Jun 2018, 14:39

Hallo Martin

Die Bedeutung der Bezeichnung "Artefakt" ist in unterschiedlichen Fachbereichen unterschiedlich, aber ähnlich.
Z.B. Im Bereich der Kriminalistik, der Forensik ist ein Artefakt eine Spur die am Tatort hinterlassen wurde.
Es gibt noch ein halbes Dutzend mehr an Bedeutungen.
Uns interessiert hier die Bedeutung in der Fotografie:
"Details im Bild, die "unbeabsichtigt" einen Unterschied zum Original zeigen."
Selbst wenn man mit der Unschärfe beabsichtigt spielt, heisst das nicht, dass sie beabsichtigt ist, denn vermeiden lässt sie sich nicht.
(Focus Stacking löst dieses "Problem", jedoch nicht auf optischem Wege, sondern mit der digitalen Bearbeitung von
mehreren bestehenden Bildern, die eine Unschärfe beinhalten.)
In der Fotografie hat man sich an diesen Abbildungsfehler durch Linsen gewöhnt und macht aus der "Not eine Tugend".
Erst seit die Betrachtungsweise durch Linsen allgemein bekannt ist (ca 1850-1900), kennt die Kunstmalerei, die Unschärfe ebenfalls.

"Wenn das einfach Sichtweisen von Kurt sind, ist das auch in Ordnung."
Da mein Auge eine Linse besitzt, sehe ich auch die Unschärfe, so wie alle Lebewesen die eine Linse im Auge besitzen,
es ist also nicht nur eine Sichtweise von Kurt. :)

"Meine Frage war, worauf sich diese Theorie stützt"
Meine Aussage bezieht sich auf die Praxis.
Wenn sich ein Objekt in meinem Randsichtbereich befindet, oder näher, oder weiter entfernt wie der Fokus, dann ist es unscharf.
Gleichzeitig kann ein anderer Mensch dieses Objekt scharf sehen.
Ein Objekt kann aber im gleichen Moment nicht unscharf und scharf sein.
(Solches Verhalten gibt es vorerst nur in der Quantenphysik).
Ohne dass sich das Objekt verändert, ist es dann scharf, wenn ich es fokussiere.
Somit ist in der Praxis bewiesen, dass alle Objekte grundsätzlich scharf sind.
Ich schliesse somit nicht von einer Theorie zur Praxis, sondern so wie es mir sympathischer ist, von der Praxis auf "eine" Theorie.

Kurt
Zuletzt geändert von Guppy am 9. Jun 2018, 16:06, insgesamt 6-mal geändert.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Guppy » 9. Jun 2018, 17:34

Hallo Martin
Meine Äusserung interessiert nur wenige Fotografen.
Ich wollte damit nur aufzeigen, dass der Bildeffekt mit durchgehender Schärfe durch Focus Stacking,
nicht unnatürlich, sondern lediglich ungewohnt ist.
Die Schärfenebene in der dritten Dimension (Tiefe), ist nur eine Distanz, von unendlich vielen, die in einem zweidimensionalen Bild festgehalten werden kann.
Der Unschärfekreis ist ein Faktor für die Berechnung der Schärfentiefe.
Seine Grösse ist in den letzten Jahrzehnten geschrumpft, auch deshalb,
weil man nicht nur kleine Bildchen betrachtet, sondern auch grossformatig ausdruckt.
Seine Grösse ist abhängig von der Betrachtungsdistanz und dem Sehvermögen des Betrachters.
Die Schärfentiefenberechnungen beziehen sich auf grosse Distanzen und gelten oft nicht im Makrobereich
und in der vergrössernden Fotografie schon gar nicht.
Die nicht existente Schärfentiefe, dient lediglich zum Vergleich, wenn am Setup etwas verändert wird,
damit man weiss, in welche Richtung es geht.
Schärfentiefe Berechnungen sollte man nicht zu ernst nehmen, sondern nur als vager Hinweis, denn sie sind meisstens falsch!

Kurt
Zuletzt geändert von Guppy am 9. Jun 2018, 18:51, insgesamt 3-mal geändert.
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon Achim.KB » 11. Jun 2018, 17:00

Hallo Kurt,

vielen Dank für den Artikel. Du sprichst mir aus der Seele.

Du hast es sehr gut erklärt.

Wenn ich es mit eigenen Worten zusammenfassen darf, Linsen machen Fehler (Artefakte), da unser Auge auch eine Linse hat gibt es dort auch Artefakte. Dazu kommt, dass unser Sensor (Netzhaut) nicht perfekt ist. Auch unsere Datenleitung (Sehnerv) komprimiert noch die Daten. Warum nehmen wir diese nicht wahr?

Das eigentliche Bild, wie wir es sehen, entsteht nicht im Auge sondern in unserem Rechenzentrum dem Gehirn. Das hat sich im Laufe der Evolution sehr ausgeklügelte Algorithmen zugelegt.

Hier ist mal kurz und sehr einfach erklärt wie das im Prinzip funktioniert:
https://www1.wdr.de/kinder/tv/wissen-macht-ah/bibliothek/dasfamoseexperiment/bibliothek-wie-sehen-wir-100.html
zusammengefasst in Fotografensprache: Wir sehen lauter Stacks und Panoramen.

Wenn man etwas tiefer einsteigt kommt noch der Aspekt des Gedächtnisses dazu, das mit den realen Informationen in Einklang gebracht wird. Da kann es passieren, dass wir Dinge sehen, die gar nicht da sind.

Dazu noch weitere Links:
https://www.geo.de/geolino/natur-und-umwelt/7543-rtkl-augen-so-sehen-wir-die-welt
https://www.dasgehirn.info/entdecken/grosse-fragen/wie-sehen-wir-die-welt
http://www.deutschlandfunk.de/schneller-sehen-als-die-realitaet-das-gehirn-ueberholt-das.676.de.html?dram:article_id=387037

Zum Abschluss stellt sich dann die Fragen was ist real? Wie erreiche ich ein „reales“ Foto? Ab wann fängt eine Verfremdung im Foto an? Welche Stilelemente nutze ich? Wie nutze ich Fehler (Artefakte)/Eigenarten der Technik (Linse, Blende, Zeit) bei der Erstellung der Bilder? Usw.

Ich denke jeder wird darauf seine ganz eigene Antwort finden müssen. Gegeben falls auch von Bild zu Bild variieren. Deshalb mag ich auch keine dogmatischen Diskussionen.

VG
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon klaus57 » 11. Jun 2018, 18:58

Hallo Martin,
Sie haben also alle relevanten Fachbücher gelesen...das ist ja toll...da könnten Sie ja genau beschreiben was Sache ist und
Kurt diese Informationen übermitteln...und wenn es so spannend ist wäre es auch für die übrigen User interessant, oder?
Ein ausführlicher fachlicher Beitrag Ihrerseits würde vieles klarer machen, als eine einseitige Diskusion!
Besten Dank für Ihre Bemühungen, ein interessierter Hobbyfotograf
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon nurWolfgang » 11. Jun 2018, 21:33

Hallo Martin

Eine kurze Zusammenfassung würde schon reichen ein paar mal 400 Seiten sprengen sicher den Rahmen und beantwortet nicht der Frage von Klaus „was ist deiner Meinung nach Sache“ lass uns an deinen Erkenntnissen teilhaben.

Gruß

Wolfgang
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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon fossilhunter » 11. Jun 2018, 21:51

komet hat geschrieben:Quelltext des Beitrags Ich habe sämtlich relevanten Fachbücher zum Thema fotografische Optik gelesen, daher kenne ich das Thema etwas anders.


Hi Martin,

dann lass uns doch doch ein wenig teilhaben, wie du das Thema kennst ... ich finde es immer erfrischend zu einem Thema verschiedene Meinungen zu lesen / hören / sehen.
Nur zu sagen, dass man das anders sieht ist ein wenig unbefriedigend (als Leser dieses interessanten Threads ... :wink: )

lg

Karl
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Ich erteile dem Makro-Forum die Generalerlaubnis, meine im Forum geposteten Bilder - mit Info an mich und Vetorecht meinerseits - zu duplizieren und in der AG einzubauen.

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Schärfentiefe, ein durch Linsen bedingter, "akzeptierter" Artefakt

Beitragvon rincewind » 12. Jun 2018, 12:44

hallo Martin,

in der Fotografie ist ein Artefakt als unbeabsichtigter Unterschied zwischen Realität und Abbildung definiert.

Die Realität hat keine Schärfentiefe , sie ist überall gleich scharf (wir unterhalten uns hier nicht über Begriffe aus der Quantenphysik :wink: )

Du schreibst:

"Für mich persönlich ist die Schärfentiefe, die eigentlich keine echte Schärfe darstellt, ein wichtiges Gestaltungsmittel, das ich feinfühlig steuern kann.
Ich hätte sie nie als Artefakt gesehen, weil mich das Wort an mehr oder weniger häßliche Gebilde erinnert."

Artefakt ist hier als lediglich ein Begriff der in der Optik (siehe Definition) in technisch, physikalischem Zusammenhang zu sehen ist.
Ich denke Dein "Problem" kommt daher das Du diesem ansich wertfreien technischen Begriff eine emotionale Wertung (häßliches Gebilde)
zuordnest.

Ein theoretisches optisches System kann nun einmal mathematisch nur in einer Ebene exakt scharf abbilden.
Ein real existierendes optisches System kann nicht einmal das.
Bei genauer Betrachtung ist eine real optische Abbildung überall unscharf.
Diese Unschärfe besitzt einen Gradienten den wir als "Schärfeverlauf" bezeichnen.
Diese Unschärfe besitzt einen Bereich in der sie ein bestimmtes Maß unterschreitet und der
dann als Tiefenschärfe bezeichnet wird.

Tatsächlich unterscheiden sich Schärfebereich und Unschärfebereich aber nur durch die Größe der Unschärfe.
D.h. auch der "scharfe" Bereich weicht von der Realität ab. Wir möchten aber gerne das er "scharf" ist.
Die Abweichung ist also ungewollt.
Somit sind alle Bedingungen der Definition gegeben.
Die Verwendung des Begriffs ist vielleicht nicht üblich aber durchaus zulässig. wzBw :wink:

Ich stimme Dir aber gerne zu das diese Abweichungen von der Realität durchaus im Bild sehr attraktiv wirken können.
Damit wäre ein SV eine gewollte Abweichung also kein Artefakt.
Die real existierenden Abweichungen im Schärfebereich wäre, da ungewollt, aber immer noch solche :)

eine kleine Anmerkung: eine Bezeichnung für irgend etwas ist nicht deshalb eine neue Bezeichnung nur weil sie nicht gebräuchlich ist.

LG Silvio

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